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Wieder in Venedig

An ca. fünfzig Tagen wird Venedig von Überschwemmungen heimgesucht, meistens ab Ende Oktober bis Mitte März, wenn sich Tiefdruckgebiete dräuend über Norditalien legen und in einer Art Blockadestellung kübelweise Wasser aus den tiefhängenden Wolken aufs Land herunterprasselt. So wie heute, gestern und vorgestern, als die Schleusen des Himmels weit geöffnet waren und tagelang der Regen die Adria anschwellen ließ. Dann liegen die Gondeln trauernd hin- und herschaukelnd verlassen am Ufer auf der aufgewühlten Lagune und sind mit wasserdichten Planen bespannt, um die reich verzierte Pseudorenaissance ihrer gepolsterten Passagierbänke nachhaltig zu schützen. Inzwischen hat das Wasser der Lagune fast die Kanten der Uferbefestigungen erreicht und hurtig wurden rund um den Markusplatz Stege aufgebaut, damit weiterhin der bildungshungrige, nostalgiebedürftige Tourist trockenen Fußes die Schönheiten zwischen Campanile, Markusdom und der Anlegestelle S. Zaccaria bewundern kann.

Tatsächlich bewegen sich im langsamen Schritttempo Tausende dicht hintereinandergedrängt über die erhöhten Behelfsrouten, einige um vielleicht im Café Amerikano oder im Café Florian oder in irgendeiner anderen gastronomischen Gastlichkeit die dort dargebotenen Speisen und Getränke, der Bedeutung des Platzes angemessen, für die meisten Verhältnisse astronomischen Summen zu bezahlen. Die meisten Umherschweifenden wollen sicherlich lediglich die Schätze und Bauwerke einer Architekturepoche bewundern, die diese Stadt so einmalig gemacht haben. Der Steg wird so zum multikulturellen Catwalk der Neugier und vielleicht einer Tagestourismus-Torschlusspanik. Selbst bei diesem Sauwetter grassiert die Selfiemania wie die weltumspannende Suche nach einer verlorenen Zeit, die gerade hier eine Verklärung erreicht hat, die wie ein Magnet Reisende aus der ganzen Welt anzieht. Wo, wenn nicht in Venedig, gäbe es die Chance sich meditativ träumerisch in die Epoche von Tintoretto, Bellini oder Vivaldi zurückzuversetzen. Viele tragen bunte Plastiküberzüge an den Beinen, die von den Schuhsohlen bis zum Knie reichen, quasi Schuhtüten oder Wegwerfstiefel mit dem Appeal der Offshore-Couture „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung“. Damit kann man auch durch das immer höher steigende Wasser waten. Eine Frau stolpert, fällt ins mehr als knöchelhohe Wasser, rappelt sich klatschnass wieder auf, klettert wieder auf die Planken und weiter geht´s. Durch die Menge geht ein Raunen.

Eine gute Fotografie würde ich auch gerne machen, aber wenn dauernd das Objektiv voller Regentropfen ist und das alles überziehende Nass in das Gehäuse einzudringen droht, habe ich auch keine Lust das teure Equipment möglicherweise der feuchten Zerstörung preiszugeben. Man müsste einen Platz finden, der Trockenheit verspricht und wahrscheinlich auch ein Stativ dabei haben, wenn man diese alle Farben verblassende Stimmung und die eigentümliche Atmosphäre zwischen „Trotzdem und wann, wenn nicht jetzt“ einfangen möchte. Ich sehe nirgends einen Platz, von dem ich ungestört meine Aufnahmen machen könnte und bei diesem Wetter solange herumzulaufen, bis ich was Passendes gefunden habe, dazu fehlt mir schlicht und einfach der Drive. Auch wenn es überraschende und phantastische Motive zu Hauf gibt, sinkt meine Leidenschaft auf einen Nullpunkt. Irgendwie muss ich mich noch durch das jetzt noch mehr eingegrenzte Menschengewühl drängeln und ich sehe schon, dass der Weg zu unserem Apartment leider nicht begehbar ist. Wozu habe ich mein iPhone und die Navigationssoftware, aber auch damit würde ich ein trockenes Plätzchen brauchen, sonst verweigert mir die sensible Oberfläche des Gerätes ihre Wischfunktionen. Orientierung ohne smartphone heisst übrigens im richtigen Leben in allen geografischen Bereichen das Zauberwort des richtigen Abkommens auf das Finden der möglichst kürzesten Strecke zwischen A. nach B., denn wir können tatsächlich in unser Gehirn einen virtuellen Kompass einspeichern, der uns auch im finstersten Tal zum Licht führen kann.

Nachdem ich das Steglabyrinth überwunden habe, gehe ich nur einmal ein paar Meter zu weit, verpasse also den schmalen Zugang zu der richtigen Fährte nur unwesentlich, einem vielleicht ein Meter fünfzig breiten Eingang zu der Gasse, auf der ich unbekümmert heim kommen kann. So erreiche ich müde, aber erleichtert das hier und Jetzt des auf mich harrenden Komforts unserer regendichten und super geheizten Unterkunft.

Morgen soll es schöner werden. Nur der Pessimist befürchtet Schlimmeres, weil er insgeheim hofft, dass sein Bangen letztendlich doch nicht eintritt. Ach noch eins: Jedes Jahr sinkt die Stadt um 1-2 Millimeter, wieviel der Wasserpegel tatsächlich steigt, darüber sind sich die Experten bislang uneinig.