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Novembernebel über den Inseln

Auf die gängigen Wetterportale im Internet kann man sich zumindest im Spätherbst und Winter nicht verlassen, sie geben ohnehin sehr allgemein gehaltene Prognosen von sich und die grafisch dargestellten Wetterkarten kann man mit dem Versuch der Meteorologen – falls sie welche sind – als Malen nach Zahlen oder nach meteorologischen Daten vergleichen. Wer sich am Meer aufhält, sollte besser in den Himmel schauen, oder die Windrichtungen mit dem nassen Finger prüfen, als sich darauf zu verlassen, dass diese Deutungen stimmen könnten.
In Italien, insbesondere an der Adria, sollte man um diese Zeit das Wetter einfach so hinnehmen, wie es kommt. Das erspart Enttäuschungen und Frustration und in Venedig gibt es soviel Kunst und Kultur zu bewundern, dass man sich einfach in die Kunstpalazzi, die Museen wie Guggenheim oder Fortuny, in die Punta de la Dogana (sofern nicht überkandidelte Briten die Räume verstopfen) oder in die Accademia zurückzieht. Und es gibt so viele Kirchen und Scuolae, die vor allem die besten  und begnadesten Renaissance-Künstler präsentieren, dass einem nie langweilig werden kann. Wem das nicht reichen sollte, bleiben noch die Speise-, Fast-Food- und Fresslokale, wo man sich mit unterschiedlichen gastronomischen Einfällen oder Ausfällen beglücken oder reinlegen lassen kann.

Nebbia, wieder war Venedig im Dunst des Nebels eingehüllt und zudem war es kälter als am Tage vorher, der noch von den Sonnentagen davor profitiert hatte. Vielleicht zeigt der Nebel nur, dass die Saison für den Massentourismus zu Ende gehen muss, dass Venedig genug hat, von den Millionen Menschen, die Straßen, Plätze, Hotels, Restaurants und Vaporettos bevölkern. Der Nebel ist ein Zeichen für die Menschen, die hierher gekommen sind, endlich wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren und der noch kommende Regen wird dann die Stadt von dem Schmutz und den Spuren der überdimensionalen Geschäftigkeit vollends säubern.
Was tun, wenn man nicht herumhängen will und einem partout nichts einfällt, was man noch unternehmen kann. Allerdings kann ich nicht sagen, dass ich so tumb wäre, dass mir nichts mehr einfallen würde. Es gibt noch soviel zu sehen und zu entdecken, dass mir schwerlich langweilig werden kann.
Vor ca. 10 Jahren war ich das letzte Mal auf San Michele, der Insel mit den Gräbern der verstorbenen Venezianer und jener, die der Tod während ihres Aufenthaltes in der Stadt ereilt hatte. Beispielsweise Igor und Vera  Strawinsky, Sergei Diaghilev, Emilio Vedova, Ezra Pound oder Joseph Brodsky, die auf diesem riesengroßen Friedhof, der von einer hohen Ziegelmauer umgeben ist, die unmittelbar am Rand des Wassers eingelassen ist, ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Leider habe ich nirgendwo Informationen gefunden, welche Italiener mit ausgefüllter Vita dort liegen, aber es ist schon schwierig genug, die Gräber der Genannten zu finden. Wahrscheinlich liegen hier unter der Erde oder in den tausenden Kammern, den Columbarien in den Mauern, die eigens für die letzte Lagerung der Urnen vorgesehen sind, mehr verblichene Venezianer als heute Lebende auf der Inselstadt herumlaufen. Im Novembernebel gleichen Friedhöfe irgendwie dieser Zwischenstation zwischen Leben und Tod und vielleicht tummeln sich im Nebel die Seelen der Verstorbenen und schauen mit einer gewissen stillen Anteilnahme auf uns herab. Die Ewigkeit, allzuoft fahrlässig ausgesprochen, schert sich nicht um die physische Existenz unseres Erdendaseins. Erfreuen wir uns der Zeit zwischen Morgen und Schlaf, ohne allzu weit zu denken.

Zudem sind italienische Friedhöfe opulenter gestaltet als bei uns, die Grabmäler und die Wände der Columbarien sind über und über mit Plastikblumen geschmückt, die meisten Grabstellen, ob groß oder klein, zeigen die Konterfeis der Verstorbenen. Zwischen den einzelnen Grabfeldern stehen hochaufragende Zypressen und zwischendurch schaut ein steinerner Engel wachen Auges auf all die, die ihm anempfohlen sind. Ebenso vor ca. 10 Jahren wurde David Chipperfield beauftragt einen langgestrickten, sehr einfach gehaltenen Neubau mit hohen Mauern für die Columbarien zu entwerfen und zu bauen und das ist ihm wirklich hervorragend gelungen. Allein wegen dieser architektonischen Besonderheit ist es empfehlenswert, der Insel der Toten einen Besuch abzustatten.

Nach der Verabschiedung im Kloster San Gregorio sind Eva und ich zum Lido gefahren und haben uns mit einem sehr langen Spaziergang am Strand beschenkt, der all die Mühen der vergangenen Tage angesichts der puren Betrachtung der hin- und herumtanzenden kleinen Wellen, der menschenleeren Scheidelinie zwischen Erde und Wasser und des Aufsaugens der gesamten herbstlich in sich reduzierenden Landschaftsatmosphäre mit einem großen Aufatmen oder Luftholen vergessen ließen.

Es war schon dunkel, als wir nach Venedig zurückfuhren und uns in einem jiddischen Lokal bei Guglie am Canale de Canareggio mit sehr guten Speisen verwöhnen zu lassen und langsam den Tag ausklingen ließen.