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Von Katzen, Menschen und dem inneren Antrieb, immer etwas Neues zu entdecken.

Weil sich das Wetter laut allgemeiner Medienaussage verbessert haben sollte, bin ich auf gut Glück, ohne aus dem Fenster nach oben zu schauen, was angesichts der schmalen Gasse unter uns ohnehin zwecklos gewesen wäre, schon um kurz vor acht Uhr aus dem Haus und zum naheliegenden Markusplatz gelaufen, nicht dass das so unkompliziert wäre, aber der innere Kompass hat sich das Links-Rechts-Geradeaus und das Gleiche noch einmal zurück inzwischen gemerkt.
Um diese Zeit ist noch alles verhältnismäßig leer und das ist für den Photografen, der nicht immer einen menschlichen Schatten durch den Sucher huschen sehen will, ein Augenschmaus besonderer Art. Alle, die in Venedig temporär weilen oder sich einfach nur hier aufhalten oder die sich in der Stadt einfinden, um der Choreografie des Selfietums und der verzweifelten Suche nach den an allen Ecken angepriesenen Konsumartikeln zu frönen, sind noch beim Zähneputzen oder wälzen sich im ausgehenden Halbschlaf in der Federn herum.
Sie sind nicht da, der Platz ist leer und das ist gut so. Ob sie auch die wunderschönen, alten Fresken und Skulpturen sehen, die unterhalb der Kuppeln des Domes jedem sehenden Auge eine Geschichte erzählen wollen, ob sie bemerken, dass es außer ihnen noch mehrere hundert Jahre baugeschichtlichen Wunderwerks gibt und ob sie glauben, dass sie nicht nach Venedig gereist sind, sondern dass Venedig im Prinzip zu ihnen gekommen ist, kann man nur als Spekulation betrachten, wenn sie dann später in Massen den Platz bevölkern? Der Himmel lockert sich auf und von Osten durchbrechen einige vorwitzige Sonnenstrahlen die Wolkendecke und erzeugen eine Pastellfarbigkeit auf den eigentlich prallen Farben, die Venedig aufzubieten hat, die wiederum eine gewisse der Geschichte geschuldete Fragilität und materiell fluide Verdunstung aus sich herausstrahlen lassen.

Ich bin dann zum Ospedale gefahren, weil da garantiert noch keiner war, es sei denn dass eine nächtlich auftauchende Übelkeit oder ein falscher Schritt vom Vaporetto zum Anlegesteg einen Aufenthalt in diesem großen Gebäude der Medizinkunst heraufbeschworen hat. Man weiss allerdings, dass der erfahrene Tourist alle Pillen, Verbände und Salben immer im Koffer hat und auch wenn es überall zwickt und drückt, wird man wahrscheinlich eher einen stärkeren Montepulciano oder Grappa trinken, als ins einzige gegen alle Krankheiten gefeite Lazarett der Inselstadt zu fahren.
Gehen ist kaum möglich, wenn es einem richtig dreckig geht, deshalb stehen in einem Kanal seitwärts des Krankenhausgeländes mindestens sieben Ambulanzboote parat, die bei Anruf sofort durch die Wasserstraßen im Zick-Zack-Kurs flitzen, um den leidenden Patienten aufzusammeln und in die Notaufnahme zu transportieren. Um das gesamte Ospedale genau dokumentieren zu können, habe ich natürlich das gesamte Areal sondiert, denn solch ein  einzigartiges Krankenhaus wird man wahrscheinlich nirgends auf der Welt mehr finden können – es sei denn in Nord-Ost-China, Burkina Faso oder Haiti, wenn überhaupt. Was natürlich Quatsch ist und nur aus der Geschwätzigkeit des um Worte bemühten Schreibers entstanden ist.
Es ist ein relativ moderner Bau, der aber gleichwohl wahrscheinlich vor über dreißig Jahre gebaut worden sein muss. Es ist übrigens das einzige neugebaute öffentliche Gebäude der inneren Lagunenstadt.
Die Anlagestruktur wechselt sich ab mit dem modernisierten und neu gebauten Teil am Ufer des Fondamente Nove und den sehr desolaten, von der Zeit angefressenen und von zerstreuten Modernisierern vergessenen Altbauriegeln, die sich nach Westen bis zu der großen Kirche Giovanni e Paulo erstrecken.
Innerhalb des Hospitals wurden schon im 18. Jahrhundert von Arkaden umrundete Plätze angelegt, die teilweise heute von einer Heerschar wild lebender Katzen bevölkert werden. Ich finde jede Katze, die ich treffe und die zu einem Gespräch bereit ist, höchst willkommen und so habe ich einige interessante Unterhaltungen geführt. Kater Murr hat mir den Weg gewiesen, wie man mit Katzen umzugehen hat.

Übrigens konnte man von der Anlegestelle des Vaporetto im Morgenlicht die schneebedeckten Alpen sehen, die in einem leicht rötlich gefärbten Schimmer getaucht, in den immer noch grauen Himmel ragten. Nach dem Verlassen des Komplexes bin ich entlang der Mauern bis zum Campo Giovanni e Paulo gewandert, wo auch das gleichnamige Kirchenensemble zu finden ist. Vor zehn Jahren war ich das letzte Mal dort und fand es eigentlich langweilig, dabei ist es ein höchst prägnantes Zeugnis eines Sakralgebäudes mit schönen Aussenwandverzierungen, das von vielen gar nicht mehr in irgendeine Zeitepoche einzuordnen ist.
Da war es dann fast zehn Uhr und der Touristenstrom wuchs stetig, chinesische Trupps mit ihren Führern sind immer zuerst da, dann kommen alle anderen und die Do-It-Yourself-Reisenden aus Europa und den USA (Kanada) füllen Straßen, Plätze, Brücken und Fondamente. Jetzt war es Zeit für eine heisse Schokolade.

Unweit des Ostpedale, in der Nähe des Campo Formosa fand ich dann den Antiquariatsladen, den ich schon vor Jahren einmal aufgesucht hatte, der aber wie eine Oase in der Wüste der totalen Digitalhegemonie Unmengen gesammelter Buchstaben und Bilder inmitten der touristisch aufgehübschten Stadttapete tatsächlich analog zu bieten hat. Der Hausherr, ein netter älterer Herr spricht ganz gut Deutsch und auf die Frage, wo er die Sprache fast ohne Akzent gelernt habe, sagte er mir, dass er oft in Deutschland geweilt habe, aber mehr auf den Spuren des Casanova gewandelt sei und wahrscheinlich deshalb so perfekt aus der Erinnerung schöpfen könne.
Ich habe einiges erstanden, weil es so schön einzigartig und auch etwas antiquarisch angegammelt war, so dass ich mehrfach, ich bin immer raus und rein gegangen, beim Stöbern in den tausenden von Büchern, Heften, Bildbänden und Schundliteratur fündig geworden bin. Zwei Katzen sitzen an seinem kleinen Tisch, wo auch die Kasse untergebracht ist und ich, als eingeschworener Katzenfreund, hatte Mühe, mich von all dem in dieser Enklave der Bücher, Papiere, Einbände, Karten, Stiche, Zeichen und Ikons zu trennen.

Without particular place to go oder wohin mich der Schritt führt, bin ich durch das gesamte Viertel Castello gelaufen, immer auf der Suche nach geeigneten Motiven und immer mit der aufs Neue entstehenden Lust, die Stadt wieder ganz kindlich wieder zu entdecken.

Ins Museum Correr bin ich gegangen, weil mich die Ausstellung über die Werke von Shirin Neshat angelockt haben, deren Filme ich extraordinair finde. Nachdem ich dieses riesige Gebäude durchstreift hatte, sogar Breughel und Bosch entdecken konnte, war ich bei der langen Wanderung zurück einigermaßen erschlafft, sodass eine weitere größere Aktivität unmöglich erschien. Deshalb fuhr ich mit dem 1-ACTV-Boot zur Piazzale Roma, (ehrlicherweise ist die Fahrt durch den Canale Grande eine Quale grande) um dort im recht üppig sortierten COOP die notwendigen Lebensmittel einzukaufen.
Zumindest bekommt man dort all das, was nur in den ganz teuren Restaurants und sehr wenigen Osterias zu finden ist, ich verrate allerdings nicht, um was es sich handelt.

Jeder hat seine eigenen Wünsche, wenn es um die Befriedigung des leiblichen Wohls geht und schwächelt beim Anblick bestimmter raffiniert erzeugter Produkte, die in seiner Zufriedenheitsskala ganz oben stehen. In Italien ist das ein besonderes Vergnügen, in Venedig allerdings, das die Touristen an jeder Straßenecke und in jedem Parterrehauseingang mit einem Restaurant oder einer Muffelbude anlockt, ist das Einkaufen in den Geschäften eher spröde. Die Märkte sind schön und offerieren Reichhaltiges, aber dazu ist unsere Küche viel zu klein, ganz zu schweigen vom Minikühlschrank.

Zurück mit dem schnellen Vaporetto über S. Marta, Zattere zum Marktplatz bzw. S. Zaccaria. Da knubbeln sich die Touristen mit ihren digitalen Bit- und Bytewerfern auf der Brücke, von der man die Seufzerbrücke aus sehen kann. Ein Durchkommen ist lästig und schwierig. Ich bleibe geduldig und schlängele mich all die Menschen in die kleine Gasse d´Anzolo in Richtung „Heimat“. Es ist wie immer schön, ein Apartment zu bewohnen, dass man für die paar Tage, die man hier ist, als sein Zuhause bezeichnen kann.