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Portella della Ginestra

Gestern kam ich durch Zufall bei einem Ausflug in die Berge rund um Palermo an einer der berühmtesten Orte der sizilianischen Nachkriegsgeschichte vorbei: Portella della Ginestra, dem Ort des Massakers an einer 1. Mai Demonstration der Linken im Jahre 1947, verübt durch die Bande des Salvatore Giuliano, auch Turridu genannt. Ich möchte diese zufällige Entdeckung zum Anlass nehmen, um über die Hintergründe dieses Geschehens oder dieses Verbrechens zu schreiben.

Unsere Geschichte ist auch immer eine Geschichte von Klassenkämpfen, dabei möchte ich die Begriffe entideologisieren und das Augenmerk ganz auf die historisch belegte Betrachtungsweise lenken. Seit Menschen Gruppen gebildet und Regeln aufgestellt haben, seit Menschen in unterschiedlicher Weise ihr Leben in die Hand nahmen und sich vom Fortschritts- und Bildungsgedanken leiten ließen, seitdem entstanden auch die Unterschiede in den fortan aufkeimenden Gesellschaften. Sie vereinigten sich in Stämmen, errichteten Königreiche, Staaten oder Republiken und waren zumindest in den Jahrtausenden vor 2000 meistens durch hierarchische Systemen gekennzeichnet. Die Bauernkriege, die französische Revolution, die Kämpfe zur Entstehung von Republiken wie 1848 in Deutschland und 1860 in Italien oder die Befreiungskriege der unter kolonialer Herrschaft unterdrückten Völker Lateinamerikas, Afrikas und Asiens sind Beispiele für Klassenkämpfe. Die ausgebeuteten und unterdrückten Klassen der Bauern und Arbeiter, die zudem rechtlos und arm waren meistens verzweifelt am Hungertuch nagten, begehrten gegen die Klasse der Herrschenden auf, um sich von ihrem erbärmlichen und menschenunwürdigen Los zu befreien. Ein völlig legitimer Prozess, den wir heute ganz besonders im Nahen Osten (seit 100 Jahren) sehen und in der in vielen Diktaturen von den unterdrückten Menschen als Mittel zur Befreiung aus dem Untergrund vorangetrieben wurden. Selbst in unserer angeblich freien und demokratisch geprägten Gesellschaft ist die Auseinandersetzung zwischen den Klassen immer noch virulent. In den Präambeln der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wurde genau formuliert, um was es im Zusammenleben der Menschen geht und die Aufklärung hat dafür gesorgt, dass den Menschen klar wurde, in welcher Welt mit welchen Möglichkeiten und Rechten sie leben und was ihrem Menschsein bislang entgegenstand.

Diese lange Einleitung soll das entsetzliche Ereignis der sizilianischen Geschichte nach dem2. Weltkrieg genauer beleuchten, welches exemplarisch für den Kampf der Klassen in Sizilien steht. Aber auch die Innstrumentalisierung interessierter krimineller Gruppen, die mit den Machenschaften korrupter Politiker Hand in Hand gehen, wird in der Geschichte von Portella della Ginestra beschrieben.

Am 1. Mai 1947 mobilisierte die kommunistische Partei sowie Sozialisten und Sympathisanten viele Menschen, um den Parlamentssieg der vereinten Linken und den 1. Mai als Tag der Arbeit zu feiern. So zogen hunderte arme Landarbeiter, Bauern und Tagelöhner aus Palermo und den umliegenden Dörfern und Städten zur Portella della Ginestra, einer Hochebene, die ca. 30 km südlich der Stadt in der Nähe der Piana degli Albanesi gelegen ist. Salvatore Giuliano und seine Gefährten lauerten auf den Protestzug zum 1. Mai in den felsigen Bergen oberhalb dieser Anhöhe. Plötzlich schossen die Banditen, wie sie genannt wurden, mit Maschinengewehren 10 Minuten lang in die Menge. Obwohl man später herausfand, dass es bei einigen des zusammengewürfelten Haufens Verbindungen zur Mafia gab, sogar zu einigen hochrangigen Parlamentariern der Democrazia Christiana. Giuliano nahm in einem Bekennerschreiben die Schuld auf sich und behauptete, dass man eigentlich über die Köpfe der Menschen hinwegschießen wollte (oder sollte) und dass die vielen Toten und Verwundeten ein „Versehen“ gewesen seien. Guiliano behauptete, dass er die Menge nur einschüchtern wollte. Die Geschichtsschreibung spricht offiziell von 11 Toten und vielen Verwundeten, andere gehen weiter und sagen, dass es mindestens 18 bis 30 Tote gegeben haben soll. Darunter sollen vier Kinder gewesen sein. Dabei taucht die Frage auf, warum der selbst ernannte „Separatist“ Giuliano, der sich für die Unabhängigkeit Siziliens eingesetzt hatte und den man im Volksmund auch den „Robin Hood Siziliens“ oder den „Rächer der Unterdrückten“ nannte und der durch sogenannte „soziale Aktionen“ wie dem Raub von Getreide und dessen Verteilung an die Armen wie die Befreiung Inhaftierter Landarbeiter bekannt geworden war, ausgerechnet diese mörderische Aktion durchgeführt haben soll.

Das Leben und der Tod Giulianos geben viele Rätsel auf, die der italienische Filmregisseur Francesco Rosi 1961 in seinem „dokumentarisch“ gedrehten Spielfilm „Wer erschoß Salvatore G.“ minutiös aufarbeitete. Rosi filmte an den Originalschauplätzen und hielt sich streng an die Fakten, die 1961 bekannt waren. Auch der us-amerikanische Regissseur Michael Cimino, weltbekannt durch den Film „The Deer Hunter“ (Die durch die Hölle gehen) widmete sich 1987 mit dem Film „Der Sizilaner“ dem gleichen Thema. Cimino kleidete seinen Film in eine opernhafte farbenprächtige Inszenierung mit Liebe, Leidenschaft, Verrat und persönlichen Verwicklungen. 

Giulianos Ruf ging zum Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts soweit, dass er sogar auf dem Titelblatt italienischen Journals „tempo“ abgebildet wurde. 

In den Filmen wird auch genau nachgezeichnet, dass sich Giulianos Bande mit zwei weiteren Banditengruppen zusammengeschlossen hatte, die aber hauptsächlich daran interessiert waren, mit krimineller Brutalität Geld und Wertgegenstände zu rauben. In allen Berichten, die heute noch bei der Aufklärung des Falles einzusehen sind, stellen sich Ungereimtheiten ein. Dass die Mafia im Auftrag „höherer Interessen“ (Die Verwicklungen zwischen amerikanischen Militärs und der Mafia waren bekannt) handelte, scheint einen gewissen Wahrheitsgehalt zu haben, aber die tatsächlichen Motive der Tat bleiben auch bis heute weiter im Dunkeln. Giuliano und sein Vetter Gaspare Piciotta handelten immer gemeinsam und als Giuliano 1950 erschossen in einem Hof in Castelvetrano gefunden wurde, ging man von einer Vergeltungstat aus. Tatsächlich wurde er von Piciotta vergiftet und danach mit Kugeln durchsiebt. Um den Mord letztendlich zu kaschieren, drapierte man den Leichnam in dem Hof so, als sei er dort in einem Feuergefecht umgebracht worden. 

Inzwischen ist der Name Giuliano in Sizilien verblasst, aber dafür wird an vielen Wänden und sogar in Touristimusandenken „Der Pate“ aus dem gleichnamigen Film mit dem Konterfei von Marlon Brando in gewisser Weise als sizilianisches Kulturerbe dargeboten.