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Vincent van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit

Laut Inetrnetrecherchen sollen über 40 Filme über den Maler van Gogh gedreht worden sein, was stimmen mag, aber ob man all diese Machwerke als Filme bezeichnen kann, bleibt eine andere Frage. 

1955 wurde Kirk Douglas in dem Film „van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft von Vincente Minelli“ gefeiert, der als filmische Biographie gedreht wurde und ein Welterfolg wurde.

Zum 100 jährigen Todestag des impressionistischen Künstlers im Jahre 1990 wurden zwei weitere exzellente Filme produziert. Robert Altmann (MASH, Nashville, Short Cuts) verknüpfte die Beziehung der beiden Brüder Theo und Vincent facettenreich zu einem Filmsujet und ein Jahr später drehte Maurice Pialat seinen Film über die letzten drei Monate im Leben van Goghs in der Heilanstalt des Dr. Gachet. Alle drei Filme können ungeachtet der Herstellungsweise und der thematischen Umsetzung als Meisterwerke bezeichnet werden und ich habe diese Filme mehrmals in unterschiedlichen Perioden meines Lebens gesehen und beurteile alle drei Filme mit den sehr verschiedenartig arbeitenden Regisseuren und der jeweils eigenständigen Inhaltsbearbeitung als großartige filmische Dokumente im Kanon der besten Künstlerbiopics. 

Nun also Julian Schnabel, der Multikünstler als Maler, Regisseur und Autor. Dessen Aussage war beim Filmfestival in Venedig, dass er den einzig wahrheitsgetreuen und thematisch dichtesten Film abgeliefert habe und dazu meinte er noch, dass alles was bislang auf Zelluloid oder im digitalen Bereich über van Gogh geschaffen wurde, unerheblich sei. Allerdings sind Julian Schnabels Ansichten ein ganz anderes Thema.

Dieser Film Schnabels, der vor einigen Jahren die Folgen, der Beeinträchtigungen menschlichen Leids und dessen Kraft durch das Locked—In-Syndrom im Film „Schmetterling und Taucherglocke“ so eindrücklich auf die Leinwand gebracht hat, zeigt schon zu Beginn, wohin uns der Weg in diesem Künstlerbiopic an der Schwelle zur Ewigkeit führen will. Es geht um die inneren Bewusstseinsebenen, die unterbewussten Zustände wie die psychische Verfassung des Künstlers, der permanent getrieben in der Suche nach Eingebung, Licht und Schönheit durch diesen Film läuft. Schon zu Beginn zeigt Schnabel über die Kameratechnik seines Kameramannes Benoit Delhomme (A most wanted man, Die Entdeckung der Unendlichkeit) wie er, der Künstler Schnabel sich das Porträt van Gogh´s vorstellt. Für Cineasten ein Vergnügen, das aber nicht jeder Freizeitkinogänger nachvollziehen kann: Wackelkamera, Überblendungen, Unschärfen, Doppelbelichtungen, Überbelichtungen oder Hochschrauben der Farbsättigung. Van Gogh hastet durch Paris, durch die Landschaften der Provence bei Arles oder über die Felder in der Nähe der Heilanstalt bei Auvers-sur-Oise. Aber all das hätte schnell zu einer Unerträglichkeit werden können, wenn nicht Willem Dafoe, einer der besten Charakterdarsteller aus dem amerikanischen Independent-Kino, mit seinem charismatischen und zerfurchten Gesicht die Rolle des Künstlers übernommen hätte. Meines Erachtens könnte man auch sagen, dass es ein Film über Dafoe als van Gogh ist. Dafoe spielt Vincent so genial, dass man Zeit und Raum vergessen kann und tatsächlich die innere Zerrissenheit, die Zweifel und Leiden, die Ängste und Hoffnungen oder die mystischen Irrungen nachvollziehen kann, ja als Künstler selber nachempfindet. Man sollte aber nicht vergessen, den Drehbuchautor Jean-Claude Carrière zu erwähnen, der mit seinen Dialogen und den Selbstgesprächen des Künstlers wesentlich zum Gelingen des Filmes beigetragen hat. Carrière schrieb schon in den 60er Jahren für Buñuel (das Gespenst der Freiheit, der diskrete Charme der Bourgeoisie, die Milchstraße) und kennt sich in den Höhen und Tiefen der menschlichen Seele wie dem Beziehungsgeflecht der Menschen untereinander sehr gut aus. Es geht in diesem Film um das Künstlerdasein, dem Spiegel der Seele eines leidenschaftlich Suchenden und um die Sicht des Künstlers in sein Innerstes und auf dessen Umwelt, sein Sehen, Wahrnehmen, Denken und Fühlen. Neben den mannigfaltigen Strukturen der Natur Südfrankreichs und der Landschaft bei Arles, dem draußen sein, das dessen eigentliche Heimat oder Atelier ist, drückt das Gesicht Dafoes mit all seinen Gefühlsäußerungen seiner seelischen Verfassung und Persönlichkeit den ständigen Kampf van Gogh´s mit inneren Geistern und äußeren Anfeindungen aus.

Schnabel hat eine großartige Besetzung zusammengestellt, denn neben Dafoe, agieren Oscar Isaac – Gauguin, Rupert Friend – Theo van Gogh, Mathieu Amalric – Dr. Gachet, Mads Mikkellsen – Priester und Emmanuelle Seigner – Madame Ginoux auf höchstem Niveau. Mehr will ich nicht verraten, denn Filme muss jeder selber sehen und beurteilen und von einer anderen Perspektive aus, kann auch ich den Film durchaus konträr analysieren und beschreiben.

Mein Favorit ist und bleibt Theo und Vincent von Robert Altman, den viele nicht gesehen haben (können), weil er nicht synchronisiert wurde. Das Gleiche gilt für Maurice Pialats van Gogh Film

Zitate aus den Feuilletons

„Ich betrachte mich als einen Menschen im Exil“, sagt der Maler im Gespräch mit einem Priester (Mads Mikkelsen). Es ist eine Schlüsselszene, in der der Geistliche – selbst voller Unverständnis – herausfinden will, warum van Gogh glaubt ein Maler zu sein. Er sei zum Malen geboren, sagt van Gogh und ergänzt später in einem der vielen Voice-over: „Vielleicht hat Gott mich zu einem Maler für Menschen gemacht, die noch nicht geboren sind.“

                                               Der Spiegel Britta Schmeiß

„Vielleicht hat Gott mich zu einem Maler gemacht für Menschen, die noch gar nicht geboren sind“, sagt dieser van Gogh einmal im Film. Die Eigenständigkeit seiner Bilder gegenüber der realen Welt verstörte viele seiner Zeitgenossen, häufig wurden seine Gemälde als hässlich empfunden. Dass man sich als Künstler gegen die Forderungen des Marktes und die Verführungen des Geldes wappnen muss, ist Schnabel nicht fremd: „Man muss seine Autonomie wahren, man darf sie für nichts opfern, egal wie viel Geld einem jemand gibt. Wenn man das einmal getan hat, ist es vorbei. Ich bin niemals Kompromisse eingegangen, und ich kenne nicht viele Leute, die das wirklich sagen können“, sagt der 1951 in Brooklyn geborene Künstler.

Die größte Krux der meisten Künstler-Biopics liegt allerdings in der Darstellung des kreativen Akts selbst. Wenn Schauspieler künstlerische Prozesse imitieren oder haareraufend Geistesblitze darstellen wollen, kann das schnell zur Karikatur werden. Da hilft es spürbar, wenn das von jemandem inszeniert wird, der weiß, wovon er erzählt und im Zweifelsfalle sogar mit den Techniken helfen kann: „Willem und ich kennen uns seit 30 Jahren“, sagt Schnabel. „Ich habe ihn schon gemalt, er war bei mir, während ich malte, ihm ist die Arbeit vertraut. Zur Vorbereitung für den Film haben wir einfach zusammen gemalt. Ich habe ihm gezeigt, wie man einen Pinsel hält, wie man Farben anmischt, wie man sie aufträgt, wie man die Staffelei zusammenbaut, bis alle Handgriffe ganz natürlich aussehen.“ Wie bringt man jemandem bei, zu malen? „Man sitzt davor und sagt: ‚Schau dir das an! Versuch nicht, das ganze Ding zu malen! Mal nicht den Baum, sondern schau dir nur an, wo das Licht auf den Baum trifft, nur diese eine leuchtende Form. Und dann mal die andere helle Form, ein bisschen tiefer. Siehst du die dunkle Form in der Mitte? Okay, mal die!‘ Nach einer Weile wird die Akkumulation all dieser Dinge wie ein Baum aussehen. Man sieht, wie er es macht, und man glaubt ihm, weil er wirklich malt.“ Gelegentlich hat Schnabel dennoch selbst zum Pinsel gegriffen: Wenn ein Bild des Art departments zu schlecht war oder wenn eines der Selbstporträts ganz sachte mit der Physiognomie von Willem Dafoe abgestimmt werden musste.

Am Ende bleibt noch die Frage, ob es weitere Künstler gibt, denen sich Julian Schnabel ähnlich verbunden fühlt wie van Gogh? „Das ist schwer zu sagen, ich habe jetzt so viel Zeit mit ihm verbracht“, sagt Schnabel. Dann fügt er hinzu: „Aber Caravaggio ist jemand, den ich sehr schätze. Caravaggio und Goya.“ Zweifellos gute Filmstoffe!

                                                            ZEIT Anke Sterneborg

Die Land­schaften von Arles durch­strei­fend, ist er immer mit seiner Staffelei, Farben sowie Pinseln unterwegs. Der Zuschauer fühlt sich buchs­täb­lich in seinen Außer-Atem-Zustand versetzt, der durch die unruhigen, wackelnden Kame­ra­be­we­gungen, die seinen schnellen, eilenden Gang auf der Suche nach für ihn anspre­chenden Land­schaften mitver­folgen, insbe­son­dere verstärkt wird. Diese Aufnahmen sind mit einer unbe­schreib­li­chen Magie der schönsten Farben der Natur erfüllt, die vom Auge des Betrach­ters durch die Schnel­lig­keit der Kamera nur flüchtig wahr­ge­nommen werden kann. Aber eben diese Flüch­tig­keit, die die impres­sio­nis­ti­sche Stimmung erzeugt, lässt die Film­bilder so pittoresk wirken. Sein Blick während des Gehens und mit ihm auch das Auge der Kamera, geführt von Benoît Delhomme, suchen nach etwas Essen­ti­ellem: nach der Schönheit der Natur, nach Gott. Und dann plötzlich bleibt van Gogh auf einer Wiese stehen, setzt sich hin und blickt nach­denk­lich Richtung unter­ge­hender Sonne. Auf einmal rennt er los, bleibt wieder stehen und legt sich ins Gras, während er eine Handvoll Erde nimmt und sie über sein Gesicht schüttelt. Dann richtet er sich wieder auf und lacht. Endlich sieht er glücklich aus, über­wäl­tigt von der Gött­lich­keit der Land­schaft. Diese magische Szene wird von einer melan­cho­lisch klin­genden, instru­men­talen Musik (von Tatiana Lisovs­kaya) begleitet.

                                                          www.artechoc.de Tatiana Moll

Darum wirkt der Film, der sich neben den Bildern des Malers (und den Landschaften, die sie inspiriert haben) vor allem auf das psychische Leiden und die aus Tagebüchern rekonstruierte Vision seines Helden konzentriert, auf avantgardistische Weise hohl wie eine Hollywoodklamotte. Wie ein Überraschungsei, das vielversprechend klappert, aber dann ist doch keine Figur drin. Die Umsetzung ist ästhetisch ansprechend, aber öde. Der große Künstler muss ein großer Leidender sein, und wenn in experimentelleren Filmen gelitten wird, oder schlimmer noch, einer psychisch krank ist, heißt das zumeist: Wackelkamera. Hier wackelt die Kamera aber nicht nur während van Goghs Psychosen, sondern auch, wenn er in seinem Zimmer aus dem Fenster schaut. Sie wackelt vor und zurück, mit und ohne Sinn. Man fühlt sich als Zuschauer, als läge man besoffen auf dem Boden und versuche zwei Stunden vergeblich aufzustehen.

Manchmal wird der Film kurz schwarz-weiß, die Kamera versucht, mit einer Kutsche mitzuhalten, die immer wieder aus dem Bild fährt. Mads Mikkelsen als Priester wird konsequent aus nur drei Zentimetern Abstand gefilmt. Alle sind immer gemein zu van Gogh, seine engeren Beziehungen bleiben ohne Tiefe. Warum er traurig ist, als sein Freund Paul Gauguin ihn verlässt, bleibt unklar. Die Dialoge sind behäbig, gestelzt, wie beim ersten Probesprechen von Laienschauspielern rezitiert. Schnabel will die Verzerrung der Welt durch den Wahnsinn nachempfindbar machen, aber die Wahl seiner Mittel ist beliebig und klischeehaft. In der neuen Dokuserie „Our Planet“ fallen in einer Szene Seerobben von Felsen, die sie nie hätten erklimmen sollen, graue, weiche Körper, die sich überschlagen, und gleich den Robben purzelt van Gogh seinem Ende entgegen. Er hat es sehr schwer, reibt sich Erde ins Gesicht, wirft die Arme hoch. Vergeblich.

Wer denkt, in diesem Text würde zu oft erwähnt, dass van Gogh ein leidender Künstler war, sollte mal den Film abwarten. In einem Interview sagte Schnabel, seine Maltechnik sei ähnlich wie die van Goghs. Es sei eine ganze Reihe von Bildern extra für den Film gemalt worden. Schnabels Filme und Statements vermitteln den Eindruck, dass da jemand, der sich für ein Genie hält, in den Dialog mit anderen leidenden Genies treten möchte. Das wiederum will er dem Pöbel huldvoll darbringen, der dann über die tiefen Seelen der Künstler staunen darf. Sonst sagt Schnabel in Zusammenhang mit seinem Film fast nur banale Hollywoodsätze.

                                                                SZ Juliane Liebert