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Eindrücke aus der Mitte der Schwedensaga

Wenn einer sagt: „Du alter Schwede“, was und wer ist damit gemeint? Das hat mit dem Dreißigjährigen Krieg zu tun, weil verdiente schwedische Soldaten, die in Deutschland nach den gebräuchlichen Methoden des kriegerischen Überfalls gewütet hatten, nach Ende des Krieges in die preussische Armee aufgenommen wurden. Dieser Ausdruck soll militärische Hochachtung vermitteln und zeigt, wer gut mordet, kann auf Anerkennung hoffen. Wer da im Sinne hatte, dass es sich um alkoholische Taten gehandelt habe, liegt falsch: Kein Bier, kein Schnaps, kein gar nix Alkohol.
Soviel reden sie gar nicht, schon gar nicht ungefragt, aber irgendwann müssen sie mit ihren Ansichten über die Gesellschaftsordnung ihres Landes  ans Licht der Öffentlichkeit, denn konkrete Meinungen und stabile Kommentare sind gefragter denn je in Sverige.
Es gibt eine Partei, die sich Schwedendemokraten nennt, das klingt zunächst sauber und politisch einwandfrei, aber unter Demokratie verstehen sie nicht das Gleiche, was waschechte, lupenreine Demokraten (außer Putin und Basta) von ihrer Lieblingsstaatsform halten. Die Schwedendemokraten sind nämlich stramme Rechtspopulisten und ihr Parteiname ist ein sehr schwammiger und euphemistischer Ausdruck, das bei um Schweden sich sorgenden Menschen gut ankommt. Die so von unbegründeter Angst Getriebenen, sind verunsichert und wählen zähnefletschende Blender, die das Blaue vom Himmel versprechen.
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland schreibt: Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten schneiden bei der Wahl so stark wie nie ab: Nach bisherigen Zahlen haben sie bei der Parlamentswahl über 20 Prozent der Stimmen erhalten. Die schwedische Partei ist in den letzten Jahren kontinuierlich stärker geworden.“ Weidel und Chrupalla, zwei waschechte Rechtsausleger unter der Herrschaft König Björn I meinen voller Empathie: „Wir gratulieren Jimmie Åkesson und seinen Schwedendemokraten zu ihrem sensationellen Erfolg bei der Parlamentswahl.“

Das reine, gute und soziale Schweden trägt schwerwiegende und seit langer Zeit verschleppte Probleme mit sich herum, die lange Jahre unter den Teppich des Schweigens gekehrt wurden, wenn tragfähige Lösungen gesucht werden mussten. Sehr viele Probleme hängen mit der Migration und seinen Folgen zusammen und werden von Rattenfängern, ohne mit der Wimper zu zucken, mit Kriminalität, Behördenbescheißerei und Faulheit in Verbindung gebracht.
Schweden hat im Lauf der Jahrzehnte sehr viele Migranten aufgenommen, was ein neugieriger, eingereister Mensch jeden Tag in Bussen, an Kiosken, in Ticketschaltern, bei Pizzaboten, Kellnerinnen oder Wachleuten beobachten kann. Ich bin allerdings der Meinung, dass bislang sehr gute Integrationsergebnisse zu zu verzeichnen sind, weiß aber nicht, wie es in den großen Vorstadtghettos aussieht und welche bedrohlichen Zahlen die Rechten jederzeit aus dem Ärmel zaubern können. Wir kennen das aus unserem von „Migranten überschwemmten Land“, die nach Meinung der AfD-Gilde alter weißer Männer mit Frau diese unpassenden Menschen sofort und unverzüglich in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt wollen.

Laut RND (Redaktionsnetzwerk Deutschland) ist in den schwedischen Großstädten wie Stockholm, Malmö, Göteborg oder Norköpping eine nicht mehr zu kontrollierende Clan- und Bandenkriminalität entstanden, die den Mittelstandsschweden und treuen Heimatgläubigen verständlicherweise auf den Zeiger gehen, was sich an den letztenWahlergebnissen ablesen lässt. Die Medien sorgen dafür, dass die negativen Nachrichten überall ankommen und eine latente Angst geschürt wird, auch wenn in nackten Zahlen, Mord, Totschlag, Rauschgift, Menschenhandel und Prostitution schon seit einigen Jahren akut waren, auch wenn sie nach 2001 stärker angestiegen sind.
Das schwedische Rockermillieu war immer schon ein heißes Eisen und wer sich hin und wieder einen Schwedenkrimi reingezogen hat, weiß, dass Schwedenrocker ganz böse und gnadenlose Buben sind. Bei Kommissar Beck, Wallander und Co.wurden diese Motorrad fahrenden Lederjacken immer wieder als Ausgeburt des Satans vorgeführt.
Aber dieses Phänomen entspricht der Wahrheit. Clan-Kriminalität kennen wir auch bei uns und wenn der Staat nicht aufpasst, bildet sich ein gesetzloser Gegenstaat mit eigenen Regeln aus dem Sumpf des Machismo jenseits der Einkaufsmeilen Leuchtreklamen und Bungalowsiedlungen. Die Aktivitäten der Clans zu brechen, kann nach so langer Untätigkeit der Justiz vor allem in der Judikative nur schwer durchgezogen werden, da sich die Clanfürsten die Gesetze mit Hilfe von Winkeladvokaten so zurecht legen, dass ein Dealer oder Pusher zwar heute in den Knast kommt, morgen aber schon wieder frei ist. Die Lösung, durch härtere Strafen und andere law and order Gesetze Abhilfw zu erreichen, wird nicht funktionieren. Ich sehe überall eine Ratlosigkeit, deren Ursachen tiefer zu suchen sind. Ich weiß nicht, was die Polizei gegen aggressive Muskelmänner mit Maschinenpistolen und archaischen Auftreten ausrichten kann und ich glaube die Justiz und die Polizei weiß es auch nicht.

Wir haben unsere Unterkunft im südlichenTeil der Stadt ausgewählt und wohnen in einer Siedlung, die im Laufe der Jahre immer weiter nach Süden gebaut wurde. Unser Haus stammt aus den 60er Jahren und wird wahrscheinlich im Zuge genossenschaftlicher Wohnungsbaupolitik errichtet worden sein. Gegenüber unseres Hauses sind die neuen Gebäude vielleicht erst zehn oder zwanzig Jahre alt und sehen ziemlich passabel aus, dass ein Schwede mit mittleren Einkommen sofort dort einziehen würde. Es sind rund 60 Häuser, alles drei- bzw. viergeschossige Riegel, die auf dem Stadtplan einer senkrecht stehenden Ellipse gleichen, die zwischen dem Rand einer Autobahn und einer größeren Einfamilienhaussiedlung gebaut wurden. Diese Blocks bilden eine relativ große Wohnsiedlung, in der viele Menschen wohnen. Wer glaubt, dass es hier Probleme geben könnte, täuscht sich, denn die sehr ruhige Gegend wird von Arbeitern und Angestellten des unteren Mittelstandes bewohnt, hier passiert nichts. Hier hört man keine Sirenen und nachts keine Unruhen, selbst die heimkrehrenden Suffköppe sind nicht zu hören. Nachts ist es so still, dass man die Fliegen atmen hören kann und wenn man die nicht wahrnimmt, erschrickt man sich, weil das eigene Schnarchen an Holzfällersummits in den nördlichen Wäldern des Landes erinnert. Die sehr stark befahrene Stadtautobahn, die als brausende Schneise zwei Viertel teilt, ist nur zu hören, wenn die Fenster geöffnet sind. Auf der anderen Seite liegt Österberga, ein Stadtteil, der in den Medien als schwierig beschrieben wird und wo es nach Zeitungsberichten ab und zu brenzlige Situationen zwischen Anwohnern und der Polizei geben soll.
Im Süden unserer Siedlung, die Enskede genannt wird und wiederum in Stureby liegt, liegt die Staion der SL (Metro-Tram) Linie T19 Baumhagen. Die Züge der T19 fahren nach Hägestra im Süden.Dort stehen viele kleine und mittelgroße Walmdachhäuser aus Holz, die für typische schwedische Klischeevorstellungen stehen. Alles so schön bunt hier und überall diese putzigen Häuser, oh wie ist das schön. Opjepaas. Oft trügt der Schein und wie man von Kommissar Wallander weiß, kann hinter jeder noch so schönen Hausfassade ein Mörder, Dealer, Dieb oder Kinderpornosammler lauern.
Weiter südlich sind weitere Blocksiedlungen entstanden und wahrscheinlich geht das immer so weiter bis man in einem großen Birken- oder Föhrenwald landet. Stockholm scheint nach vielen genauen Blicken auf die Stadtkarte von Blocksiedlungen umzingelt zu sein, wie das auch in Köln, Paris, London, Barcelona oder München der Fall ist. Die Mär von der attraktiven Stadt in den Schären beruht auf touristischen Schwärmereien von glücklichen Reisenden und den fleißigen Schreiberlingen, die Reiseführer mit süffigen Berichten in eine Lyrik der Wohlfühlgesellschaft verwandeln. Dieses Stockholm liegt im Centrum.
Mit der schönen Stadt im farbenfrohen Sonnenuntergang kann nur Södermalm, Östermalm, Nacka, Durgarden oder Klaravarteren etc. gemeint sein, die im Mittelpunkt der Stadt liegen. Nur das nimmt der Tourist wahr, wenn er rund in einem Hotel der Innenstadt wohnt und mit seinen Spaziergängen die Vorzeigeviertel durchstreift. Es ist richtig, da stehen bombastisch elegante, alte Häuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert rntlang der breiten Piers, die von der Stadtverwaltung gepflegt werden und jedes Touristenherz höher schlagen lassen. Auf einer Landkarte oder Citymap gleicht Stockholm der Innenstadt von Paris innerhalb der Peripherique, der City of London zwischen Hyde-Park, Regents Park, Kensington Park und Southwark Park oder München oder Berlin in den inneren Ringen. Alle Innenstädte sehen auf der Kartengrafik ähnlich aus, in Stockholm ist die Bebauung allerdings zusammengedrängter und auch kleiner.
Für meinen Geschmack und ich muss zugeben, dass ich mich mehr in mediterranen Gefilden aufhalte, erscheint mir Stockholm als  dröge, lahm und zu konform. Auch das architektonische Gesicht der Stadt ist im Prinzip langweilig bis unspektakulär, was nicht heißen soll, dass jeder andere Mensch, die Stadt als besonderes Highlight und als Wunschvorstellung des Schönen loben wird.
Gestern, als ich in der City herumlief, dachte ich daran, wie geschickt die Holländer in Den Haag oder Rotterdam eine zweite City in zeitgenössischer Architektur mit kreativ gestalteten Hochhäusern inmitten der alten Traditionskultur aus den letzten Jahrhunderten  gepflanzt haben. Beide Städte und auch Amsterdam präsentieren sich in einer gelungenen Melange aus alt, neu und sehr modern. Beispiele, die wegweisend für die Zukunft jeder anderen Großtadt sein können.

Die Schwedendemokraten regieren zwar nicht, unterstützen die Gesetzesvorlagen der Regierung aber seit acht Monaten partiell mit. Aus ihrer Fraktion kommen ihre Forderungen und Vorstellungen einer gesellschaftlichen Wandlung nach rechts. Sie blockieren da, wo sie keine Vorteile sehen oder erstreiten faule Kompromisse und können auf eine agitierende und nicht zimperliche Anhängerschaft bauen, die von der Basis aus die Säulen des schwedischen Wohlfahrtsstaates fleißig ins Wanken bringen.

Die Tatsachen sind beunruhigend. Die konservative Regierung lässt sich von der Schwedendemokraten treiben und so manche undemokratische und populistische Entscheidung wird erpresst. Entscheidungen, die unter stabilen sozialdemokratischen Regierungen niemals geduldet worden wäre. Per Olof Palme rotiert in seinem Grab.
Law and Order hielten Einzug und das Parlament beschloss etliche Maßnahmen, um eine restriktivere Einwanderungspolitik durchzusetzen und repressivere Ordnungsregeln für die Polizei zu erzwingen, um das Gespenst der Clankriminalität in den Griff zu bekommen. Zunächst veränderten die Innenpolitiker die Aufenthaltsgenehmigungen und senkten die Zahl der Daueraufenthalte drastisch. Längere Aufenthalte für Menschen aus klassischen Migrationsländern waren den Schwedendemokraten ohnehin schon lange ein Dorn im Auge und die Bestimmungen für das Verbleiben im schönen Schweden wurden rigider gehandhabt. Man erwog die Einrichtung „überseeischer Gefängnisse“, senkte die Flüchtlingsquoten von 5000 auf 800, kreierte die Ermöglichung von «Stopp-und-Such»-Zonen in sozialen Brennpunkten, forderte die Verdoppelung der Strafen für Hauptangeklagte innerhalb der Bandenkriminalität und erlaubte die weitreichende Denunziation durch anonyme Zeugen.
Die Schwedendemokraten mischten auch bei einigen wichtigen sozialen Fragen ordentlich mit, wie etwa bei der Senkung der Arbeitslosenunterstützung und anderen Sozialtransferleistungen. Aber sie hielten all das nicht, was sie während des Wahlkampfes versprochen hatten, um die Wähler zu ködern, was wiederum bei den so eingefangenen Fremd- und Nichtwählerinnen für Unmut sorgte. Die vollmundigen Aussagen, sich um die Renten und die Bedingungen für krankheitsbedingte Arbeitsausfälle zu kümmern, fiel durch das Netz des peripheren Vergessens. Die Preisobergrenze für zahnärztliche Versorgungen und die Stärkung staatlicher Verantwortung im Gesundheitswesen wurden geprüft und das war’s dann auch.

Ohne sich sprachlich zu verheben, kann die Politik der Schwedendemokraten als rassistisch, excludierend, segregierend und destruktiv bezeichnet werden, obwohl das Hauptstimmenfangargument der „Ausländer Raus-Politik“ in meinen Augen perspektivisch kontraproduktiv erscheint. Ohne die Vielzahl der Migranten, die seit Jahrzehnten in Schweden angekommen sind, würde vieles im Gesellschaftssystem nicht funktionieren. Die bislang gelungene Integration vieler Einwanderer hat dafür gesorgt, den Wohlstand und die unterschiedlichen Sektoren der Dienstleistungsgesellschaft zu festigen und aufrecht zu halten.

Allerdings muss auch erwähnt werden, dass die  umfangreichen Steuersenkungen für Hochverdiener den wahren Geist dieser Parteiideologie zeigen. Es ist wie überall, wo konservative oder rechtspopulistische Partei regieren, wenn die Reichen immer reicher werden und die Bedürftigen immer näher an den Abgrund gedrängt werden. Schaut euch die USA unter Trump, England unter den Torys, Italien unter Meloni an; die Bilder und Taten ähneln einander. Rechtspopulismus ist letztendlich immer ein Schlag ins Gesicht all derer, die mit ihrer Arbeit und ihren Steuerzahlungen ein Land stützen, versorgen und stabil halten. Warum werden sie also gewählt? Nach 1930 im Deutschen Reich können wir das sehr genau rekonstruieren, weil diese Politiker immer auf die Angst setzen. Angst vor sozialem Abstieg, Angst vor einer unsicherer Zukunft, Angst vor Veränderungen, Angst vor allen Menschen, die unterschiedlich aussehen oder eine andere Religion haben und die Angstschürung der Überfremdung. Schwarze, Juden, Muslims, Einwanderer. Mit der perfiden Angstrethorik, die sie ohne Unterlass auf die Menschen einprasseln lassen, fangen sie schließlich die Ängstlichen und Unsicheren, die Zweifler und vor allem die Unwissenden ein.
Ein Staat braucht Menschen, die Dienstleistungen erledigen und die indigenen Schweden der Mittel- und Oberschichten wollen sich nicht die Hände schmutzig machen. Eine Fehlentwicklung wie in vielen anderen Staaten Europas. Wem eine gute Bildung angedeiht wurde, will hoch hinaus, Karrieren basteln und sich in der Wohlstandsgesellschaft gemütlich einrichten. Das ist kein schwedisches Phänomen, das ist in allen hoch zivilisierten Staaten des Westens, in Japan, in Südkorea und anderen aufstrebenden Staaten gleich.
Aber die dritte Welt will am Reichtum der ganz oben stehenden Länder teilhaben und zieht aus ökonomischen und lebensbedrohlichen Gründen nordwärts. Die Afrikaner und Asiaten des vorderen Orients nach Europa, die Latinos in die USA, die Nepalesen und Filipinos streben nach Saudi Arabien und den Emiraten.
Sie erledigen die Folgen vieler Probleme, die in diesen Staaten ansonsten liegen bleibent würden wie der Dreck auf den Straßenn. Aber wer fegt den Dreck weg, wer putzt die Büros, wer kontrolliert die Zugtickets, wer schuftet körperlich, wer fährt die Lastwagen, wer versorgt die Kranken, wer pflegt Parks und Öffentliche Einrichtungen. Wer?
In der City von Stockholm glänzen die Glasfassaden in der Sonne und blenden die Touristen, indem sie glauben, sie seien in einem Konsumwunderland. Ob Stockholm oder Berlin, ob London oder Paris, ob Wien oder Budapest, überall gleichen sich die Zustände und bislang gab es nur wenige demokratische Politiker, die wegweisende Änderungen angeleiert haben. Das gilt fast überall auf der Welt. Mujica in Uruguay war ein Lichtblick, aber das war ein Mensch und Sozialist und kein Politiker. Er war im Rahmen seiner Möglichkeiten erfolgreich. Ich sah einen Bericht über die Cook-Inseln, wo die Großkonzerne der Weltausbeutung schon darauf warten, die Manganknollen, die auf dem Untergrund des Meeres zuhauf liegen, nach oben zu holen und fette Beute zu machen. Da gibt es allerdings indigenen Streiter, die sich wehren und darauf bestehen, ihre ohnehin durch den Klimawandel bedrohte Heimat in all ihrer Schönheit zu erhalten. Aber wie lange hält es ein kleiner Inselstaat aus, sich gegen die Übermacht der Globals zu wehren.

Man muss kein ausgewiesener Kenner politischer Ideologien sein, um zu wissen, dass ein Rechtsruck oder eine Beteiligung an der Regierung durch Rechtsausleger auf die Dauer mehr schaden als nutzen. Die Orbans, Vucics und Kaczinskys Europas werden irgendwann einmal verschwinden, wenn ihnen die sozialen und wirtschaftlichen Probleme über den Kopf wachsen, die sie bislang nur durch repressive Maßnahmen aufrecht erhalten konnten. Auch Erdogan bekam schon den deutlichen Fingerzeig, dass seine nationalistische und populistische Politik keineswegs von allen getragen wird. Im Gegenteil, diese rückwärts gewandten Reaktionäre leben von den Wählerstimmen aus den nicht entwickelten Bereichen des Landes ausserhalb der größeren Städte. Diese sind enttäuscht und hoffen auf Besserung, werden aber permanent mit Lügen und Verdrehungen der Wirklichkeit manipuliert. Sie sind wegen strukturschwacher Politik bildungsfern und viele verharren in einer archaischen Denkungsart, die den Blick in die Zukunft scheut. Sie bemerken immer erst zu spät, dass sie instrumentalisiert und betrogen werden.
Gleichzeitig hat es die Regierung Erdogan versäumt, die Türkei mit Blick auf deren Bedingungen für einen Beitritt Schwedens zur NATO zu besänftigen, obwohl sie unbeholfen eine unpopuläre Rolle rückwärts vollzog, die im In- und Ausland Kritik hervorrief.

Zurück zu Schweden. Nur die Linkspartei, die mit einer Verdreifachung ihrer Wählerstimmen– die zweitstärkste Oppositionspartei ist, zeigt ein klares politisches  Profil. Ein neuer „green deal“ wird angestrebt und Projekte, die zukunftsweisensd sind, vorgeschlagen. Noch steht die Partei allein auf weiter Flur, aber der Vänsterpartiet gehört die Zukunft.

Aus der Zeit

Eine Frau möchte „so bald als möglich“ einen Koran vor einer Stockholmer Moschee anzünden, ein Mann will am 15. Juli vor der israelischen Botschaft eine Bibel und die Thora verbrennen. Und im Zentrum von Helsingborg sollen religiöse Texte verbrannt werden, welcher Art, wurde in dem Antrag nicht näher ausgeführt. Die Stockholmer Polizei prüft momentan die Anträge.

Am Mittwoch vergangener Woche hatte ein Mann irakischer Herkunft vor der größten Moschee Stockholms einen Koran verbrannt. Das hatte, wie schon eine ganz ähnliche Aktion im Februar, in der muslimischen Welt zu großen Protesten geführt.

Es gibt in Schweden ein sehr weitreichendes Gesetz zur Meinungsfreiheit, das in der Tageszeitung Svenska Dagbladetkürzlich als „Quelle des Nationalstolzes“ bezeichnet wurde. Im Grunde kann das Recht auf eine Versammlung nur verweigert werden, wenn dies im Hinblick auf die Sicherheit der Versammlung selbst oder als ihre unmittelbare Folge erforderlich ist.

Wolfgang Neisser

7. September 2023
Stockholm