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Mit Plastikgeld um die Welt

Wer die Filme: „1984“, „Neunzehnhundertvierundachtzig“, „Fahrenheit 451“, „Matrix“, „The Circle“ gesehen hat und die Bücher: „Der unsichtbare Krieg“ wie auch „New Dark Age“ vielleicht gelesen hat oder zumindest weiß, wovon diese Bücher handeln, wer skeptisch gegenüber der Macht der Digitalisierung ist und sein smartphone nicht immer zur Hand haben muss, wird sich in Schweden fragen, funktioniert der Weg zur totalen Digitalisierung wirklich so, wie es zumindest viele Schweden glauben und die großen Medien des Landes permanent behaupten. Auch in London kamen mir schon erhebliche Zweifel, als ich überall meine Mastercard zücken musste, aber hier in Stockholm gerät mein Vertrauen an bislang nicht bekannte Grenzen. Im ÖPNV oder im Public Transport kann keiner mehr mit Bargeld bezahlen, es ist obligatorisch, irgendeinen digitalen Fahrschein vorzeigen zu können oder wie es gezwungenermaßen oktroyiert wurde, den Fahrschein in Form einer Plastikgeldkarte auf ein Scangerät zu halten, das Piep Piep abzuwarten und sich irgendwo hinzusetzen, falls ein Platz frei ist. Wir haben uns gleich am zweiten Tag unseres Aufenthaltes eine Siebentageskarte für 26,70 Euro gekauft. Nicht zu teuer und wirklich praktisch. Die Scanner funktionieren und bislang gab es keine Pannen. Heute Früh müssen wir bis Montag eine weitere Karte lösen, weil die sieben Tage vorbei sind. Alle städtischen Verkehrsmittel akzeptieren die Karten und es ist möglich Fähren zu nehmen, um ein bescheidenes Inselhopping zu machen. Nicht alle, aber die wichtigsten zwischen den bewohnten Inseln rund um das Zentrum und in Richtung Norden. Das System mit den Tickets finde ich gut und wäre auch bei uns von großem Vorteil, wenn man als Mensch den deutschen ÖPNV nutzen will oder muss.

Das 49 oder Deutschlandticket ist ein Anfang, aber die Storys, die ich bislang gehört habe, zeigen eben auch, dass der Preis zwar einigermaßen stimmt, aber alles andere eben nicht. Sven Plöger, der alerte und kundige Wetterfrosch in der ARD ist Bahn- und Busnutzer und hat seine eher dürftigen Erfahrungen deutlich geäußert. Während unserer Reisetätigkeit in europäische Städte haben wir überall unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In Bilbao lief die Nutzung von Tram, Metro und Bussen reibungslos und auch ohne Scanner. In Paris ebenso, in London mit Scanner ohne Schwierigkeiten, in Marseille ohne Scanner, aber wunderbar und in Palermo habe ich immer längerfristige Tickets gekauft und bin überallhin durch die weitläufige Stadt gefahren und nie kontrolliert worden. Die Italiener nehmen es nicht so ernst und es hätte auch wenig Zweck, wenn man in bestimmte Viertel fahren will.
In Schweden haben die Scanner die Kontrolle übernommen und wer kein gültiges Ticket hat, kann auch nicht fahren. Soweit so gut, das kann als Fortschritt in der Infrastruktur einer Großstadt bezeichnet werden, hat aber nach meinen Beobachtungen auch Nachteile, weil ältere Menschen, die kein Ticket haben, auch nicht fahren können, wenn sie auch keine Debitkarte besitzen.
Ich habe mich gefragt, ob es wirklich so perfekt ist, wenn alles digitalisiert ist? Ist die Gefahr nicht viel größer, wenn es einen totalen oder peripheren Stromausfall geben sollte oder wenn Hacker sich das System aneignen und alles durcheinanderbringen? Oder wenn diese bösen Strolche die Transportgesellschaften erpressen oder bewusst alles lahm legen, um ihren Protest gegen irgendetwas deutlich zu machen. Hat es alles schon gegeben, wie ich ermittelt habe.

Überall in öffentlich zugänglichen Gebäuden, in denen Eintritt bezahlt werden muss, holt Mensch Debit oder Mastercard aus der Tasche und zahlt, um hineinzukommen. Im Freilichtmuseum Skansen haben wir zu zweit gleich 40+ Euro abgedrückt. Damit aber nicht genug, der Mensch muss sich ernähren, muss seine Notdurft verrichten, muss Rechnungen und Steuern bezahlen und will mal ein einziges Eis essen oder ein einziges Bier trinken. Letzteres habe ich heute wieder gemacht, kein Geld in der Tasche aber auf dicke Hose machen, würde man sagen können. Nein, ganz ährlich. Im Park Humlagarden gibt es so eine Art Imbissbude, nicht sehr schön, nicht sehr bequem, aber es gibt Bier und Fritten und Köttabulla und weiß der Teufel noch, was für schwedisches Zeug, das man sich hinter die Kiemen schieben kann. Ungefähr 8 Biere standen mit Kreide auf einer Tafel geschrieben, am Tresen lag eine Karte mit Snacks oder kleinen Fressalien. Ich entschied mich für die Hausmarke, ein naturtrübes Bier, das in schlanken Glaskrügen serviert wird. Ich steckte die Debitkarte in die Lesebox, gab die Pin ein und Prost.
Das Glas sieht nach Brautradition aus und das Bier ist leicht und schmeckt eher wie Lager oder Weißbier Zusätzlich habe ich eine einfache Portion Fritten bestellt. Das Bier 0,4 kostete 8,70 Euro und die Fritten, sehr schmale Kartoffelstäbchen 4,80 Euro. In Södermalm, Nähe Nytorgetplatz habe ich für 0,5 schwedisches Bier 9,50 bezahlt. Karte zücken, Pin drücken, fertig. Bei den Preisen kann sich der Durst ganz schnell in Luft auflösen und die trockenen Kehle ist ratzfatz vergessen.
Die Schweden verdienen viel mehr im Vergleich zu den Menschen, die in unserem Land arbeiten. Ich weiß nicht genau, wie hoch die Löhne und Gehälter sind, aber offensichtlich können viele Menschen die relativ hohen Preise, ohne mit der Wimper zu zucken, bezahlen. In der Kneipe dachte ich, dass einige sich vielleicht manchmal einen Rausch mit einem kräftigen Schwedentrunk leisten werden, aber wer ein guter Schlucker ist, kann an einem Abend gut und gerne 100 Euro, wenn nicht noch mehr berappen.

Ich sagte schon, dass ich bisher die schwedischen Biere, die ich ausprobiert habe, drei Glas im Ganzen, eher plörrig waren bis auf Staropramen, aber das ist ursprünglich tschechisch und kommt aus Prag, wurde aber von Carlsberg aufgekauft und ist formal tschechisch, aber eigentlich dänisch. Wer die Marke Carlsberg kennt, weiß, dass es der dritt größte Bierplayer in der Welt ist. Heineken aus den Niederlanden (Nr.2) oder AB inBev aus Belgien ist  der größte Konzern weltweit. Die Globalisierung und die Gier der großen Konzerne kennt eben keine Grenzen und dagegen ist auch kein Kraut gewachsen. Ich glaube aber, dass jedes Bier aus einer kleineren Brauerei wie Päffgen oder Füchschen oder Vulkan besser und süffiger und ehrlicher ist als eines der Biere aus den Bottichen der großen drei, auch wenn es so einherkommt als wäre es das von höchster Braukunst in Flaschen oder Fässer gefüllt worden. Ich verliere mich, das kann böse enden und dann bin ich ganz verloren, ohne dass ich es wollte.
Worauf ich hinauswill ist, dass eingereister Mensch in Stockholm auf Gedeih und Verderben Preisen ausgesetzt ist, die er nicht versteht, sollte er es aber doch verstehen, kann es sein, dass Mensch bestimmt Reize und Bedürfnisse während des Lesens von Speise- und Getränkekarten sofort einschränkt und gerade bei Bier und Wein den nächsten Systembolaget aufsucht und sich den Stoff mit Nachhause nimmt. Ist er allein, kann er mit den Wänden und Flaschen sprechen, aber alleiniger Mensch braucht auch in Stockholm ab zu Kommunikation mit den indigenen Stockholmern oder auch eingereisten anderen Europäern, Amis oder vielleicht Saudis, die das Leben in Schweden sicherlich sehr kostengünstig finden. Ich rutsche ins Hämische ab, aber es ist doch wahr, dass einem der Abend versaut wird, wenn man dauernd daran denkt, wie sich das Bankkonto leert. Viele Schweden bezahlen überhaupt nicht mehr per Karte, die App auf dem Smartphone für die bargeldlose Zahlung regelt alles. Vor allem jüngere Menschen scheinen sehr sorglos mit den Zaster-Chipkarten umzugehen, aber diese Aussage gibt nur einen sehr subjektiven Eindruck wider und wird mir von den Gläubigen der Bargeldlosigkeit in Nullkommanichts um die Ohren gehauen. In einem Feature des Deutschlandfunks las ich, dass die allein selig machende Bargeldlosigkeit nicht unumstritten ist und vor zehn Jahren nach einem Plan aller Banken gemeinsam beschlossen wurde. Alle Banken machen gemeinsame Sache und ließen den Konsumenten im Prinzip keine Chance, sich zu wehren. Fraglich ist, ob die Konsumenten überhaupt transparent informiert wurden.
Die Diskussion um das bargeldlose Zahlen ist auch bei uns nicht neu, aber in Deutschland ist es aus historischen Gründen sehr schwierig, hoppla hopp eine bargeldlose Initiative loszutreten, um sich im weltweiten Hype in der Abschaffung des realen Geldes einzureihen. Zwei große Krieg, die Weltwirtschaftskrise mit der Massenarbeitslosigkeit und Inflation und die finanziellen Schweinereien in der Nazizeit haben Narben hinterlassen Dann kam die Stunde Null und mit ihr etwas später die Währungsreform, die DM war geboren und selbst nach der Umstellung auf den Euro haben viele Nachkriegskindern immer in Deutsch Mark gedacht. Bei allen älteren Menschen, die die Nachkriegszeit und die Unsicherheiten während des Kalten Krieges miterlebt haben, entstand eine gesunde Distanz zu allen Finanzjongleuren und wie Ludwig Erhard sagte, „keine Experimente“ zu zulassen. Es ist immer noch undenkbar, das reale Geld peu a peu verschwinden lassen zu wollen. Bargeld sagen wir und die Verbundenheit zum Bargeld bleibt zumindest bis in unsere Tag in den meisten Menschen fest verankert. Lieber Bargeld als Bar jeden Geldes oder Geld los. Warum das Geld so wichtig ist? In meiner Hand habe ich ein Tauschmittel, das mir Wert verspricht, weil schön gestaltet ist und gerade bei den Banknoten mit Wasserzeichen, Silberfaden und Unterschrift des obersten Europäischen Kassierers als Gegenwert einer Ware diesem ein ikonischen Maßstab verleiht, den jeder achtet und eben „Wert“ schätzt. Eine Plastikkarte ist eine Plastikkarte ist eine Plastikkarte. Ob auf ihr DB, American Express oder Diners eingeprägt ist, keiner weiß wieviel wahrer Wert darin verborgen ist. Wie hier in Schweden 2 Euro für die Notdurft oder 1000 Euro für ausgiebiges Mahl in einem gediegenem Restaurant.

An dieser Stelle muss ich sehr deutlich sagen, dass ich keineswegs gegen Digitalität bin und in vielen Bereichen unserer Gesellschaft dafür plädiere, dass sie ohne wenn und aber eingesetzt wird. Wir hinken der Welt in Deutschland hinterher und brauchen eine gut ausgebaute und vernetzte digitale Grundstruktur, die in sehr vielen Bereichen das Zusammenwirken kommunikativer und operativer Prozesse erleichtern wird. Das gilt auch für das Internet und für KI. Das Problem liegt in einer wirksamen Kontrolle und einer Schichten übergreifenden Zusammenarbeit zwischen Politik, Industrie, Dienstleistungsunternehmen und Gewerkschaften oder NGO´s.

Ich selbst greife seit 1992 aufs Internet zu und habe zu Beginn mit Compuserve meine ersten Mails nach den USA verschickt. Basis war ein Mac SE Würfel mit 20 MB Festplatte und 4 MB Arbeitsspeicher, den ich 1989 gekauft habe. Die sogenannte digitale Kommunikation lief über ein hochaufgerüstetes Modem, die mit der Telefonleitung verbunden war, worüber man heute heute Lachkrämpfe kriegen würde
Ein Bild auf dem Mac SE brauchte teilweise Minuten, um auf dem kleinen 9 Zoll Monitor flächendeckend zu erscheinen. 1994 kaufte ich für ungefähr 10.000 DM das Powerbook 186 mit 120 MB HD und 20 MB Arbeitsspeicher. Das war ein Schlepptop, wie man sagte, weil es ziemlich schwer war. Schon 2001 arbeitete ich mit dem Mac G4 und etwas später mit dem ersten ibook. 1994 wurde mein Engagement noch mit Lachen belohnt, 2001 wurde ich fast verhöhnt, weil ich Macuser war und alle anderen Windows-Rechner besaßen. Ich meine aber, dass meine Treue und mein Vertrauen in alle Mac´s, die ich seitdem bedient habe, sich 100fach gelohnt haben.Wenn die junge Generation „Digital Nativs“ genannt wird, kann ich mich als „Digital Pioneer“ bezeichnen.
Ein wenig auf den Putz klopfen, kann in diesem Zusammenhang nicht schaden.

Bei aller Skepsis der totalen Digitalität müssen Menschen genannt werden, die mit der Digitalisierung arbeiten, aber ihre berechtigten Zweifel äußern und veröffentlichen.
Wie die investigative Truppe aus dem Chaos Computer Club oder der Ökonom und Politologe Evgeny Morozov, der brillante Kolumnen über Vor- und Nachteile, Nutzen und Gefahren des Internets und der Digitalisierung in angesehen Zeitungen veröffentlicht. Jaron Lanier, der 2014 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels überreicht bekam, gräbt noch tiefer in das Jahrtausendphänomen Internet, Digitalisierung und KI. In seinem Buch Wem gehört die Zukunft? greift er den weltweit grassierende Kostenloshype an, indem er argumentiert, dass sich die Großkonzerne (Beispiel Meta, Alphabet, X), mühelos und ohne Kontrolle über alle Maßen bereichern können und plädiert dafür, dass alle Nutzer an den Milliarden und Billionen, die das Web generiert, beteiligt werden müssen. Nach Marx könnte man auch sagen, es sind die Malocher, die ein Staatswesen durch ihre Arbeit aufrecht erhalten. Das web ohne User ist nichts, aber das haben 99% noch nicht begriffen und laufen den vermeintlichen Vorteilen wie verrückt gewordene Lemminge hinterher. Was aus Lemmingen wurde, wissen sicher die meisten, die diesen Text lesen.

Zitat Deutschlandfunk vom 15.08.2016 – von Klaus Betz:

Die schwedischen Finanzinstitute besitzen und kontrollieren nämlich – anders als in Deutschland – durch eine gemeinsame und ausgelagerte Gesellschaft alle Geldautomaten des Landes. Ihre Bankomat Bolaget ist somit konkurrenzlos. Dadurch konnten die schwedischen Banken in den vergangenen Jahren die Anzahl der Geldautomaten um fast die Hälfte reduzieren und – ebenso landesweit – die Auszahlungssumme von einstmals 5.000 Kronen – etwas mehr als 500 Euro – auf häufig nur noch 1.000 Kronen begrenzen.
Damit nicht genug: Inzwischen weigern sich die meisten Banken, überhaupt Bargeld anzunehmen. Logischerweise gibt es deshalb bei den Bankautomaten auch keine Deposit-Funktion. Es sind also – wiederum anders als in Deutschland – keine Einzahlungen möglich. Obwohl die Schwedische Krone unverändert ein gesetzlich gültiges Zahlungsmittel ist.
Und weiter:
Das Vorgehen der schwedischen Banken hätte in Deutschland vermutlich längst schon das Bundeskartellamt auf den Plan gerufen. In Schweden herrscht an dieser Stelle indes eine seltsame Funkstille und die Banken betreiben eine Politik der verschlossenen Auster: Sie äußern sich nicht und diskutieren nicht. Weder mit Medienvertretern noch mit dem schwedischen Bundesverband der Einzelhändler und Kleinunternehmer, weiß deren Sprecher Viggo Lindgren zu berichten.
Der einzige Banker, der bei diesen Recherchen ansprechbar ist, arbeitet nicht als Banker im klassischen Sinn. Björn Segendorf ist bei der übergeordneten Schwedischen Reichsbank tätig. Sein Arbeitsschwerpunkt: „Finanzielle Stabilität“. Die Svenska Riksbanken sieht sich unter anderem dazu verpflichtet, so heißt es in ihrer eigenen Beschreibung, „ein sicheres und effektives Bezahlwesen zu fördern.“ Nahe liegend bei Björn Segendorf nachzufragen, ob die schwedischen Banken mit ihrer restriktiven Bargeld-Politik überhaupt noch mit den Auffassungen der Reichsbank übereinstimmen. Segendorf antwortet ruhig und überlegt, während eine Pressesprecherin jede Frage und jede Antwort mitschreibt.
Bevor wir nach Schweden reisten, entdeckte die Schwester von Eva in einem Couvert ungefähr 1400 Kronen, die aus dem vorigen Jahrhundert stammten. Eva fragte in einem Geschäft, die ihr zu verstehen gaben, dass diese Scheine beim Kaufen wertlos seien. Damit gab ich mich nicht zufrieden. Zwischen 2015 und 2027 wurde ein Banknotenrelaunch gestartet, der alle alten scheine durch Neue ersetzte. Nun dachte ich, dass ich zu einer Bank gehe und die Scheine einfach in gültige Banknoten umtausche. In Östermalm gibt es Banken, aber ich fand keine. In einem Geschäfte fragte ich und stieß auf Unverständnis. Einer sagte mir, dass draußen genügend Bänke herumstehen würden. Auf einer dieser Bänke nahm ich gestresst Platz. Zwei gediegen gekleidete Männer setzen sich auf die Bank gegenüber. Wiederum fragte ich und stieß zwar auf Hilfsbereitschaft, auch weil ich das Problem benannte, kam aber trotz eifriger Suche beider Männer in ihren Smartphones nicht weiter. Einer zeigte dann in eine Richtung, wo ich es versuchen sollte. Die Frage nach Bargeld stößt in Schweden auf Nichtwissen. Von all diesem Unverständnis und Unwissen genervt, gab ich auf. Später sah ich auf einer Stadtmap, dass sich die Banken im südlichen Östermalm befinden.
Zuhause dachte ich, dass Schweden eine Zentralbank haben müsse und dass ich dort auf Gegenliebe stoßen könnte. Ich rief dort an, bekam eine nette Gesprächspartnerin vermittelt und und musste dann erfahren, dass es zwar grundsätlich möglich sei, dass Geld umzutauschen oder in Euros umzuwandeln, aber das gehe nur postalisch. Die Banken hätten keine Funktion altes in neues Geld zu tauschen. Über das Internet sollte ich ein Formular ausfüllen, auf dem alle wichtigen Personendaten vermerkt werden sollten, das Geld danach mit dem Formular in ein Couvert zu stecken und postalisch an Sverigse Rijksbank zu schicken. Mein Einwand, dass ich das Couvert in deren Briefkasten werfen könnte, stieß wiederum auf Ablehnung, weil es einfach so nicht gehen könne. Altes Geld ist in schweden offensichtlich schon ausgestorben und als Nachlassverwalter muss die Rijksbank dafür sorgen, dass dessen Verbleib ordnungsgemäß abgewickelt wird. Wahrscheinlich wird es geschreddert, wenn es irgendwann einmal in deren Hände kommt.
„Die Banken formulieren stets ihre eigene Politik; es sind unabhängige, Profit maximierende Unternehmen. Es ist nicht Aufgabe der Reichsbank, die Politik der Banken festzulegen. Allerdings denken wir, dass es ein wachsendes Missverhältnis gibt – zwischen der Nachfrage und der Bereitstellung von Bargeld. Etwa 50 Prozent der Banken arbeiten inzwischen bargeldlos. In diesem Sinne dürften sie sich etwas zu schnell verändert haben, schneller als ihre Kunden. Das haben wir auch schon öffentlich erklärt.“
In Schweden gibt es eine Seniorenunion, die sich PRO nennt und sich grundsätzlich gegen die Abschaffung des Bargeldes wehren, weil viele Senioren oder Rentner aus guten Gründen einerseits nicht mit dem Kartensystem klarkommen, andrerseits aber keinesfalls auf Bargeld verzichten wollen. Ich bin auch mit Etikett Senior bedacht worden und werde schlimmer noch in die blödsinnigeSchublade Formel Opa gesteckt, ein Begriff der das Alter in ein niedliches Klischee presst. Gerne bin ich Grandpa oder Großvater, aber das ist den nach uns Geborenen zu umständlich, nehme ich an. Die Vereinigung rief 2016 zu einer Petition auf und bekam in kurzer Zeit 140.000 Stimmen für den Erhalt des Bargeldes.
Die Gruppe „Kontantupproret“ oder Bargeldaufstand vereinigt neben Rentnerverbänden auch kleine Unternehmen und Verbraucherverbände. Besonders kleine Handwerksbetrieb und Kleinstunternehmen behaupten, dass sie durch die Bargeldlosigkeit nur Nachteile haben. Gerade bei Senioren verstehe ich das Unbehagen gut, ich habe im Bus gesehen, wie eine ältere Frau freundlich, aber direkt abgewiesen wurde und nicht mitfahren durfte. Jeder hätte seine Debitkarte für sie hinhalten können, aber das erlaubt der Busfahrer nicht, denn ein Mensch darf in einem Bus nur eine Fahrkarte haben, was die Abbuchung von der Debitkarte nachweist. Hin und wieder streifen Bettler durch die Abteilgänge, was sich als zwecklos erweist, denn eine Gesellschaft ohne Bargeld, kann auch beim besten Willen einem Bettler nichts geben. In der Innenstadt sieht man selten ärmere Leute oder Bettler, da sieht es aus wie im Problemlosparadies, aber außerhalb, auch bei uns im Süden der Stadt sehe ich viele, die nicht so viel Geld haben, weil deren Kleidung schon alt und abgewetzt ist. Im CooP um die Ecke kaufen die Bewohner der großen Siedlungsblocks auf der anderen Seite der brausenden Autobahn ein und ich kann nicht behaupten, dass sie den schicken Schweden rund um Östermalstorget gleichen. Dort flaniert eine gut und teuer gekleidete Schickeria, aber immer nur insoweit, dass man von einem gewollte Understatement reden kann.
Auf dem Schiff nach Ropsten hält das Schiff auch in der beliebten Bucht von Nacka Strand, wo gute und gut-gehende, wahrscheinlich auch teure  Restaurants unmittelbar an der Anlegestelle liegen. An diesem Samstag sah ich viele gut gekleidete junge Senioren um die sechzig-fünfundsechzig, die dort ihren Tag verbringen. Elegante, aber nicht auffällige Leinenhosen, -blusen, -hemden und Kleider zeigen, dass hier Geld herumspaziert, weil man an den Klamotten sieht, dass sie nicht billig waren. Das ist natürlich ihr gutes Recht, ihr Plastikgeld in teure Kleidung, Speisen oder Reisen zu verwandeln. Chablis und Sancerre  mit Hummer und anderen ausgewählten Delikatessen in der untergehenden Sonne zu süffeln und es sich gut gehen zu lassen, kann keinem verwehrt werden. Ich ziehe mich entsprechend an, bestelle und lebe kulinarisch orgiastisch und wenn die Rechnung kommt, lege ich Bargeld hin. Viel zu einfach, vielleicht sollte man die Bezahlung verweigern. Geht auch nicht, also sich gar nicht erst in die Phalanx des lebenden Geldwertes einreihen. Nach Nacka Strand verirrt sich kein Normalverdiener, nehme ich an und habe meine Solidarität durch Nichtaussteigen gezeigt.

Der Broker Brett Scott sagt in seinem Buch „Cloud Money“:

„Wenn man vom Bargeld weg geht und hin zu digitalen Systemen, hinterlässt man natürlich eine riesige Datenspur,“ und weiter  „Plötzlich sehen diese Institutionen (Banken, Social Media, Finanzverwalter, Börsen) was Sie (der Mensch) kaufen, wann, wo und bei wem. Diese Daten sind sehr aussagekräftig. Viele dieser Organisationen tauschen sogar untereinander aus. PayPal zum Beispiel teilt Daten mit bis zu 600 verschiedenen Organisationen.“ ….. Dadurch entsteht ein enormes Überwachungspotenzial, für Unternehmen und für den Staat. Und das wird zu einem großen Problem, besonders in autoritären Ländern. Plötzlich kann man die Menschen auch so beobachten. Außerdem kann man diese Zahlungssysteme dafür nutzen, um Menschen auszugrenzen und ihr Verhalten zu kontrollieren.“

Wolfgang Neisser
10. September 2023
in und um Stockholm