Gleichgültig in welcher Jahreszeit man (Frau)* nach Südfrankreich fährt, hinter den letzten städtischen Ausläufern Lyons bis Vienne kündigt sich mehr und mehr der Süden an, das sieht man nicht nur an der sich verändernden Vegetation, sondern auch an der Architektur und am geographischen Landschaftsbild.
Fährt jemand nach Süden, der sein Herz und seinen Gaumen an der Wein verloren hat, wird spätestens bei Dijon unruhig, wenn die Autobahnschilder auf Namen verweisen, die jedem Weinkenner das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Côtes d´Or – nicht Goldküste (so nennt man das Villenviertel der Wohlhabenden am Zürichsee), sondern goldene Rebhänge, was vielleicht auf die herbstliche Verfärbung der Weinberge schließen lässt oder auf die entzückenden, morgendliche Stimmungen im Spätsommer, wenn die ersten Sonnenstrahlen auf die vom Tau benetzten Weinblätter treffen und einen diffusen goldenen Schimmer erstrahlen lassen. Gevrey-Chambertin, Chambole-Musigny, Vougeot, Vosne Romanee, Nuits St. Georges, Aloxe Corton, Volnay, Morgon, Côtes-de-Beaune, Pommard, Meursault, Mercurey. Wer nennt die Trauben, kennt die Namen, die still vereint zusammenkamen. So ruhig wird es nicht zugegangen sein, aber die Burgunderweine, vor allem die Grand Crus oder Hochgewächse basieren auf solch kraftvollen Trauben wie Pinot Noir, Pinot Meunier, Pinot Blanc, Chardonay, Auxerrois oder Gamay und werden je nach Lage oder Ort immer aus einer Traubensorte gekeltert, während die Viticulteurs im Süden die Trauben verschneiden, was auch Cuvée genannt wird. Das Verschneiden bedeutet aber nicht, dass diese Weine minderwertiger sind, im Gegenteil, es kommt nur darauf an, wie ein Winzer*in seine Rebflächen nutzt oder bearbeitet und mit welcher Leidenschaft und Opferbereitschaft alles getan wird, um einen guten Wein zu erzeugen. Ich muss nicht unbedingt darauf hinweisen, dass Namen Schall und Rauch sein können, sonst wäre ein auf die Erde geworfener Außerirdischer psychisch vollkommen verloren, wenn man ihn fragen würde, welche Automarke oder welches smartphone unter den vielen sich ähnelnden Firmenbezeichnungen er als besonders gut oder vorteilhaft einschätzen würde. So ist das auch bei uns Menschen, denn manchmal schmeckt ein ehrlicher Landwein ohne besondere Einzigartigkeitsmerkmale besser als ein von den einschlägigen Weinspezialisten hochgelobter Spitzenwein, der 97 Parkerpunkte vorweisen kann. Außerdem sollte es unbenommen sein, dass jeder das Recht auf seinen eigenen Geschmack hat und mit dem zufrieden ist, was ihm am besten mundet. Eine Currywurst a la Basta-Schröder kann ein Filetsteak a la Vatel-Besorgnis um Längen schlagen, wenn der Genuss des individuell sozialisierten Gaumens diese Nachricht genauso an das Einordnungszentren im Gehirn sendet. Also Vorsicht mit Empfehlungen, denn wie man Köln zu sagen pflegt: Der eine sagt so und der andere sagt so. Zweifelsohne sind bestimmte Burgunder aus besonderen Jahrgängen fähig, jemanden in den Ruin zu treiben oder aus einem Muslim einen Papisten zu machen. Wer glaubt, dass man als weinenthusiastischer Deutscher einen Volnay des einen Hanges von einem anderen Volnay des anderen Hanges unterscheiden könnte, sollte vorsichtig sein, seine subjektive Expertise herauszuposaunen, die danach keine Widersprüche mehr zulässt. Eine Rose ist eine Rose ist ein Rose, aber eine rote Rose sieht augenscheinlich anders aus als eine Gelbe und verbreitet in der gleichen Umgebung eine völlig unterschiedliche Wirkung. Wer also sagt, dass Reißdorf-Kölsch besser als Gaffel oder Sion sei, hat Unrecht, weil dieses Urteil nur für ihn gilt, auch wenn alle anderen behaupten, dass Früh eigentlich das beste Kölsch sei. Jedoch eines ist gewiss, so wohlklingend und traditionsreich Namen auch klingen mögen, der Pestizidskandal im Bordeaux zeigt, dass man heute weder Lafitte noch Mouton-Rothschild letztendlich trauen kann. In den Zeiten des Umbruchs, ausgelöst durch den vom Menschen gemachten Klimawandel, kommt es vielmehr auf das „wie und was“ als auf das „wer und wo“ an. Als ich in Mayschoß an der Ahr wohnte, sah ich jeden September den Wahnsinn der Sprühflugzeuge, die das gesamte Ahrtal mit ihrem weißen Vernichtungsnebel überzogen, selbst wenn zwischen den großen Flächen der Winzergenossenschaften einzelne Winzer ihre Trauben biologisch und nachhaltig zur Reife brachten. Selbst als die Helikopter diese Weinhänge zu umkurven begannen, die Luft war voll von den Pestiziden und der Wind tat ein übriges.
Hinter Montelimar fängt dann laut französisch geprägter Bestimmung der Süden richtig an, aber vorher durchquert man noch ein Weinbaugebiet, dass bei Weintrinkern weltweit einen äußerst guten Ruf genießt: Hermitage bei Valence, genauer bei Tain an der Rhoneschleife und gleich auf der anderen Seite des die Landschaft imposant prägenden Felsmassivs: Croze Hermitage, der in der Bewertung nicht so exzellent davonkommt. Hier betritt der Reisende das Gebiet der Côtes du Rhône-Weine und die Hermitage-Geschwister sorgen für einen unvergesslichen Einstieg in dieses Weinbaugebiet, dass jedem, der einmal diese tiefroten Erdsäfte gekostet hat, entweder restlos überzeugt ist oder die Reblaus in ihm so richtig entlarvt. Hermitage hat wie der Name schon ahnen lässt mit einer Eremitage zu tun und tatsächlich ließ sich der Legende nach 1224 der Kreuzritter Gaspard de Sterimberg als Eremit auf dem Felsen nieder und führte das Erbe der Römer so gut fort, dass der Wein in ganz Frankreich hohes Ansehen genoss. Vor über 100 Jahren galt der hauptsächlich aus Syrahtrauben gekelterte Wein als die Krönung unter den französischen Weinerzeugnissen. Zwischen Valence und Montelimar stechen keine herausragenden Weine hervor. Aber weiter flussabwärts liegt das Winzerdorf Tricastin wenige Kilometer östlich der Rhone und wird deshalb nicht mehr zu den Rhôneweinen gerechnet. Die Côteaux-de-Tricastin entlehnt ihren Namen einem keltischen Stamm der Tricastini und die beiden Ortschaften Bollène und Donzère dominieren das kleine Weinbaugebiet. Die Römer errichteten hier einen Bacchustempel und man kann davon ausgehen, dass sie oder die Phokäer die ersten Rebstöcke gepflanzt haben. Auf der westlichen Seite der Rhone findet man die Côtes du Vivarais, die wie viele der Côtes-du-Rhône-Villages Dörfer keine nennenswerten Besonderheiten aufweisen kann und nur durch seine soliden Weine auffällt.
Zwischen Rhône und dem alles überragenden Mythenberg Mont Ventoux erstreckt sich von Südosten nach Nordwesten das kleine Gebirge Dentelles-de-Montmirail und am westlichen Fuß der zackigen Felskette (Dentelles = Spitzenklöppelei – montmirail = mons mirabilis) liegen wie an einer Perlenkette die Weindörfer Rasteau, Seguret, Sablet, Gigondas, Vacqueyras, Sarrians und Beaumes de Venise. Besonders in Gigondas und Vacqueyras werden herausragende Weine aus den Trauben Grenache, Mourvedre, Syrah, Cinsault und Gamay gekeltert, die neben dem prominentesten Vertretern der am besten bewertesten Weine aus dem Châteauneuf-du-Pape Gebiet sehr gut bestehen können. An dieser Stelle möchte ich auf eine sprachliche Entgleisung der besonderen Art hinweisen: die Klassifizierung von alkoholhaltigen Getränken in weibliche und männliche Attribute. Da werden Rotweine als breitschultrig, muskulös oder männlich kraftvoll bezeichnet und Rosé- oder weiße Dessertweine mit den Attributen feminin, lieblich, elegant, kapriziös oder bezaubernd überzogen. Dieses Gendern sagt wenig über den Wein und viel über die Wortschöpfer aus. Wenn ein Rote(r) mit 16 Prozent Alkohol ins Glas kommt bedeutet das zunächst nichts weniger und nicht mehr, als dass er schnell zu Kopfe steigt, was nach heutigen Erkenntnissen geschlechtsneutral ist, auch wenn Mediziner die Alkoholtoleranz bei Frauen niedriger als bei Männern einstufen. Egal wie, bei zwei Flaschen Wein und mehr als 2 Promille ist jedes Geschlecht gleich besoffen.
Das führt mich zum Muscat-des-Beaumes de Venise, der als einer der besten Aperitifweine Frankreichs gilt. Bei diesem golden glänzenden Weißwein aus den Muscat-à-petit-grains Trauben muss mindestens 110 g unvergorener Zucker pro Liter nachweisbar sein, bevor er mit 95% Weingeist in der Gärung gestoppt wird, ein Verfahren, das auch beim Pineau des Charentes oder beim Muscat de Rivesaltes aus dem Südwesten Frankreichs angewandt wird. Das Ergebnis kann ich nur als umwerfend benennen, denn der Muscatgeschmack und die an Obst erinnernde Süße wie der Duft von Blüten gehen eine derartig harmonische Verbindung ein, dass selbst beim griesgrämigsten Menschen eine äußerst entrückte Vergeistigung hervorgerufen werden kann. Getrunken wird dieser vin doux naturel besonders als Aperitif, immer gekühlt, oder beim Dessert, wenn man zu später Nachtstunde den Gang ins Bett zu „sweet dreams“ werden lässt. Die sehenswerte Ortschaft Beaumes-de-Venise, deren Ursprung von Historikern auf zwei keltische Stämme zurückgeführt wird und später als römische Siedlung in den Annalen auftaucht, wird erstmals im Jahr ? 993 n. Chr.? erwähnt und gehörte im 12. Jahrhundert zum Besitz der Abbaye Saint-André de Villneuve-lès-Avignon.
Avignon mit dem Papstpalast, dem Pont Benezét, dem Theaterfestival und der großen Universität ist neben Aix en Provence wohl die bekannteste größere Stadt in der Provence. Der berühmteste Rotwein der Côtes-du-Rhône ist neben dem Hermitage der Chateauneuf-du-Pape. Das Anbaugebiet umfasst die Dörfer Bedarrides, Courthézon, Sorgues und Orange, während der größere Ort Chateauneuf-du-Pape als Mittelpunkt dieser Weinregion gilt. Der Verschnitt der separat angebauten und geernteten Trauben enthält mindestens 13 Rebsorten, manche zählen weitere hinzu, so dass man auf 22 kommt. Sieben Prozent der Rebfläche gehören weißen Trauben, welche immerhin zu einen wohlmundenden Weißwein ausgebaut werden. Die Spitzenweine aus dem Bereich der blauen Trauben reifen in großen Barriquefässern (225 Liter) und werden zudem auch zu Spitzenpreisen gehandelt. In guten Jahren kann der Châteauneuf alle Burgunder und Bordeaux alt aussehen lassen und wenn diese Weine zehn und mehr Jahre lagern, verspricht jedes getrunkene Glas ein Eintauchen in eine befristete Zeitlosigkeit.
Papst Johannes der XXII gründete den Rebanbau um 1350 und diese Tradition wurde bis in die heutige Zeit beibehalten. Die Winzer verfeinerten den Ausbau der Weine von Jahrhundert zu Jahrhundert und der Ruf verbreitete sich über ganz Europa, inzwischen über die gesamte Erde.
Wahrscheinlich waren die ersten Siedler 600 vor Christus die Phokäer, auch als Gründer der Stadt Marseille bekannt, Griechen, die aus der Nähe der türkischen Stadt Izmir stammten. 600 v. Chr, wurden sie von sie kriegerisch bedrängenden Persern vertrieben, flohen in die südliche Provence und ließen sich nieder.
1935 wurde dieser große Wein als einer der ersten französischen Weine mit der Bezeichnung AOC geschützt.
Jeder Weinliebhaber weiß, dass nordwestlich von Avignon schon im Department Gard die beiden bekanntesten Roséweine produziert werden. Tavel und Lirac. 2700 Sonnenstunden, ein Wert, den nur wenige Regionen mit Weinanbau in Frankreich erreichen, begünstigen den Anbau von edlen Trauben und so kultivierten die Viticulteure aus Tavel wie den angrenzenden Gemarkungen den von der Fachpresse als am besten klassifizierten Roséwein der Grande Nation. Die ersten nachweisbaren Schriften sprechen vom 12. Jahrhundert und wiederum sind die Mönche der Abbaye Saint-André-de-Villeneuve-les-Avignon am Erfolg beteiligt. Eine Ebenso eine Besonderheit ist, dass hier ausschließlich Roséweine erzeugt werden. Zugelassen sind lediglich die Rebsorten Grenache, Cinsault, Syrah, Clairette Rosé, Piquepoul Blanc, Calitor, Bourboulenc, Mourvedre und Carignan. Auf einer Gesamtanbaufläche von 933 ha werden ca, 35–50 hl pro Jahr und Hektar erwirtschaftet und in Fässer abgefüllt. Entgegen anderen Roséweinen aus der Region Côtes-du-Rhône oder Provence erreicht der Alkoholgehalt bei einem Tavel 13,5 Prozent, da kann eine Flasche am Mittag getrunken schon eine wohltuende Müdigkeit auslösen. Für Lirac gelten ähnliche Parameter und da Lirac nur ein Kilometer nördlich von Tavel liegt, schlage ich vor, dass der geneigte Leser sich dort selbst umschaut.
Hinter Avignon beginnt auf der linken Rhoneseite die kleine Gebirgsformation der Alpilles. Da sich der überall präsente Maler van Gogh in St. Remy-de-Provence in einer psychiatrischen Klinik eine gewisse Zeit aufhalten musste, ist den meisten Besuchern unseres Nachbarlandes und speziell der Provence dieser Name geläufig. Fährt man über die nicht allzu hohen Alpilles erreicht man Les Baux-de-Provence (auf 220 Meter), jenen von jährlich 1,5 Millionen Schaulustigen überrannten Ort auf einem Felsplateau mit weiter Sicht über das Rhonetal wie auf der südlichen Flanke über die sich anschließende Camargue. Aufgeführt in den „plus beaux villages de France“ ist der verwinkelte Ort ohne die vielen Menschen, die Souvenirläden oder die Restaurants wahrlich ein Schmuckstück. (Die Wirkung der bunten Eisenskulpturen muss nicht noch einmal erwähnt werden) Die Burg und die sie umgebende kleine Gemeinde beherbergt nur noch 365 Einwohner, wobei im 18. Jahrhundert laut Geschichtsschreibung einige Tausend in und um Les Baux ansässig gewesen sein sollen. Im Ort selbst sollen heute nur noch 22 Personen leben.
Bei den Kelto-Ligurern wie bei den Römern war Les Baux ein Fort oder ein oppidum, aber die inzwischen bekanntere Sehenswürdigkeit sind die in den Fels getriebenen Steinbrüche, deren Nutzung bis weit in die Römerzeit zurückreichen. Diese 14 Meter hohe Felskathedrale auf 4000 qm wurde als Kalksandsteinreservoir ausgebeutet, aus dem nicht nur die Burg des Ortes errichtet wurde, sondern viele andere Bauvorhaben der Provence bis ins Mittelalter mit Baumaterial versorgte. Heute lockt die kantig in den Berg geschnittene Höhle die aus aller Welt nach Süden reisenden Besucher mit dem künstlerisch konnotierten Lichtspektakel „Carrieres lumieres de-Baux-de-Provence. Aufsehen erregende Vorstellungen mit ineinander verlaufenden Bildern von Picasso, Chagall, Gauguin und van Gogh machen einen Staunen. Man muss es selbst sehen, wenn man für derartige große Licht- und Raumprojektionen zu haben ist, aber auch wenn vieles von professionell urteilenden Kritikern als Kitsch abgetan wird, so kann dieses Erlebnis nachhaltig wirken und bereitet den vielen Interessierten, die sich die Show ca. eine Stunde lang ansehen, offenbar große Freude.
Das Weinbaugebiet der Alpilles wird als Côtes-de-Baux-de-Provence bezeichnet und wurde erst 1995 als AOC eingestuft. Wie im gesamten Rhonetal werden hauptsächlich rote und rosarote Weine hergestellt, die jung getrunken eine Bereicherung für jeden Feinschmecker sind. In gastronomischen Fachkreisen ist allerdings das Olivenöl noch bekannter und wer Salate aromareich zubereiten möchte, kommt an diesen Ölen nicht vorbei.
Die Weinbaugebiete, die westlich der Rhone in Richtung Languedoc gelegen sind, nennt man Côtes-de-Nimes und finden in den Fachkreisen der Kenner, Sommeliers und Kochgenies kaum Beachtung.
Flamingos, Wildpferde, Stiere und viele seltene Tierarten beherbergt die Camargue, aber das ist wiederum ein anderes Kapitel, wenn mich meine Füße in Richtung Meer treiben.
W.N. Arles 2019 – 13./14. Juni
* Wie einige Kollegen (Blogger) oder Schriftsteller lehne ich es ab, mich von der neuen hin- und hergeisternden Gendermanie beherrschen zu lassen, wie die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse im ZEIT Interview vom 6. Juni mit meiner vollen Unterstützung sagte: „Sie spielen auf diese Umfrage der ZEIT a, an der ich im vergangenen Jahr beteiligt war. Ich kann gerne wiederholen, dass ich mir nicht verordnen lasse, wie ich meine literarischen Texte schreibe. Und von dem Momentan an, wo mir das Gendern vorgeschrieben wird, werde ich nicht mehr schreiben. Ich wurde nicht gefragt, ob man Gesetzestexte gendern soll. Das ist etwas anderes.“