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Marsch durch eine kleine Periode der Geschichte

Offensichtlich wird in Griechenland mit seiner orthodoxen Kirche und deren aktiven Vertretern, den schwarz gekleideten Popen, den Hirten über die Herde der Lämmer, die auf Gottes Auen und unter den Millionen Olivenbäumen zwischen Thessaloniki und Heraklion weiden, der Ostermontag als Entspannungstag dieses wichtigsten kirchlichen Festes wahrgenommen. War der Ostersonntag schon im sonst lärmenden Athen wie ein tiefer Atemzug eines erschöpften Hammels wahrzunehmen, kam der Ostermontag noch tiefenentspannter mit einer fast nicht zu glaubenden Ruhe einher. Der Grund ist im Ablauf der Feierlichkeiten zu sehen, denn schon um Mitternacht zwischen Ostersamstag und Ostersonntag verkündet der jeweilige Pope in einer der meistens überfüllten Gotteshäuser, dass Christus auferstanden sei –  „Christus Anesti, worauf die Gläubigen im Chor antworten „Alithos Anesti“ – Wahrlich ist er auferstanden. Die restlichen Stunden und Tage verbringen die Griechen mit ausgiebigen Feiern und das ist meistens eine geballte familiäre Ritualisierung der ansonsten kirchlich geprägten Feiertage mit äußerst profanen Mitteln. Übrigens muss das griechische Osterfest nicht unbedingt gleichzeitig auf das katholische Brauchtum fallen, welches durch die starre sechs Wochenregel nach Karneval geprägt ist, sondern es richtet sich nach dem ersten Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond, der wiederum auf die erste TagundNachtGleiche des Jahres fällt. So kann es durchaus sein, dass die Feierlichkeiten zwischen unserem Ostern und den griechischen Festtagen ein, zwei oder sogar drei Wochen auseinanderliegen. So viel zu der Vergangenheit, die jetzt schon bezüglich Ostern eingesetzt hat.

Da ich mich ausgiebig mit der Militärdiktatur zwischen 1967 und 1974 und deren Ende, das durch blutige Zusammenstöße zwischen protestierenden Studenten, Arbeitern und Schülern auf der einen Seite und der mit Panzern aufgefahrenen Soldateska der Junta auf der anderen Seite schließlich niedergerungen wurde, beschäftigt habe, bin ich heute zum Polytechnikum gefahren, um den Ort und das Viertel Exarchia, welches heute eines der alternativsten und lebendigsten Athens ist, näher kennenzulernen. Hier spürt man immer noch unmittelbar den Geist des Widerstandes und den lauten Herzschlag einer Generation, die die Schande der Diktatur auf den Schutthaufen der Geschichte geworfen haben. Hier wird in jeder Straße und Gasse der Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben ohne falsche Attitüden geführt und man gewinnt den Eindruck, dass diese jungen, wie auch älteren Menschen mit großem Selbstbewusstsein völlig natürlich in einem Fassadenlabyrinth voller Graffitis und politischer Plakate in einer Art lässigem Understatement oder aus der Zeit gefallenen Ungezwungenheit zwar physisch ein wenig ausserhalb, aber innerlich vollkommen bei sich und ihrer Zeitauffassung sind. Ich habe mich unwillkürlich an mein Kreuzberg nach 1971 erinnert und an das Neukölln, bevor die immer gefrässiger sich alles einverleibende Gentrifizierung ab 2010 dieses Viertel völlig verändert hat. Dieser scharfe Zahn der Zeit wird sicherlich auch hier früher oder später Einzug halten, aber vorher muss sich Griechenland aus der Zwangsjacke der Austerität und einem inneren morschen und ungerechten Kern jahrzehntelanger Klientelpolitik und Korruption befreien. Und es darf nicht mehr von aussen dermaßen gegängelt und gezüchtigt werden, dass dieser neuen, jungen Generation die Luft zum Atmen genommen wird. Nur so und dann kann sich dieses wunderbare und großherzige Land sicherlich gemeinsam mit anderen Staaten Europas auf einen totalen Neubeginn einlassen und in allen sozialen Bereichen des Öffentlichen Lebens wie in der Bildung oder der Kunst- und Wissenschaft zu neuer Größe im Konzert der europäischen Staaten aufrichten. Seit der zugebenerweise eigentümlichen Gründung des „Staates“ vor ca. 186 Jahren und einer permanenten und turbulenten geschichtlichen Achterbahnfahrt kann dieses Land die Zukunft als mögliche und realistische Gegenwart erleben. In einer gerechten und freien Gesellschaft, in der kein einziger Mensch, der in diesem Land lebt oder leben will, zurückgelassen wird.