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Palermo - Lebendig und das anarchisch

Morgens wieder Regen, aber gegen 10:30 Uhr verflüchtigten sich die dunklen Wolken, blauer Himmel brach durch und die restlichen Wolken zogen es vor, weiss und bauschig zu werden.
Eigentlich wollte ich auf den Monte Pellegrino, der westlich Palermo überragt und ins Santuario di Santa Rosalia. Dort zog sich im 12. Jahrhundert ein junges Mädchen aus dem herrschenden Normannengeschlecht  in eine Höhle zurück, um Buße zu tun. Sie verstarb Jahre später und wurde bald in Palermo als Heilige verehrt. Um die Höhle herum wurde im eher schlichten Barockstil ein Sanktuarium gebaut.
Ich war schon sehr weit gekommen, aber dann fuhr mir der einzige Bus, der dort hoch auf den steilen Berg fährt vor der Nase weg. Der nächste wäre erst 100 Minuten später gekommen. So bin ich entlang des Golfes mit einem anderen Bus in die Stadt gefahren und kam am Botanischen Garten vorbei. Viele Menschen standen vor und in dem Gelände und ich sah ein Schild, dass an diesem Samstag ein Pflanzenverkaufstag stattfand. Mit 3,00 Euro konnte ich mir die vielen mir unbekannten, teilweise exotischen Pflanzen ansehen und bin ausserdem durch den sehr schön angelegten Garten gewandert. Der Botanische Garten in Palermo ist eine einzigartige Sehenswürdigkeit, weil hier im tiefsten Süden Europas noch andere, frei wachsende Bäume und Sträucher wie Blumen und Nutzpflanzen zu sehen sind. Die Palermitani nutzten den Samstag, ausserdem ist morgen Palmsonntag und der Beginn der Karwoche.

Ich treffe Eva am Teatro Massimo, wo sehr viele Studenten ihren Abschluss feiern, indem sie bunte Papphüte (nachgemachte Doktorhüte) tragen und mit ihren Verwandten und Bekannten einen großen Rummel veranstalten.

In einem kleinen tunesischen Lokal gehen wir essen und entdecken auf der Straße Vittorio Emmanuele ein zeitgenössisches Museum, welches in einem ehemaligen Palazzo seine Heimstatt gefunden hat.
Es ist das Regionalmuseum Riso für moderne und zeitgenössische Kunst in Palermo. Es fördert, unterstützt und verbreitet zeitgenössische Kunst in Sizilien durch ein Museumssystem, das mit seiner ständigen Sammlung und seiner intensiven Ausstellungstätigkeit eine grandiose Möglichkeit für Künstler aus Sizilien sowie ganz Italiens bildet. Das Museum steht in direkter Verbindung mit d’Aumale di Terrassini (Naturgeschichtliches Museum Siziliens) mit seiner archäologischen, naturalistischen und ethno-anthropologischen Sammlung. Der Dialog zwischen verschiedenen Sprachen und Disziplinen wird auf dem Museumsareal in besonderer Weise gepflegt.
Wir sehen Vertreter der so genannten Palermo Schule und sind über Qualität und Sujets der Arbeiten positiv erstaunt. In einem Nebengebäude befindet sich eine Galerie, in der die italienische Künstlerin Concetta de Pasquale ihre Arbeiten ausgestellt hat. Wir haben uns lange mit Frau de Pasquale unterhalten und sie erklärte uns auch ihre Arbeitsweise am Beispiel der ausgestellten Bilder. Nautilus, eine Reise durch imaginäre Routen. „Es ist eine Reise, ein Kommen und Gehen, eine Metapher der Bewegung, eine Suche nach Erfahrung, eine Herzensangelegenheit voller Poesie in Imagination und Phantasie.“ So beginnt der Katalogtext. Concetta de Pasquale wohnt in Messina und Mailand und die gezeigten Bilder sind mit Ölstiften und ein teerhaltigen Substanz auf alten Seekarten, die teilweise vergilbt sind, gezeichnet. Sie fügt immer das Symbol Nautilus in pastelligen, sehr zarten Tönen hinzu. Die Muschel Nautilus, eine Tiergattung aus der Familie der Perlboote, ist eine Metapher oder ein Symbol mit vielfältiger Bedeutung, Jules Verne nahm den Namen für die visionäre Erfindung seines Unterseebootes. Neben ihrer Arbeit als Malerin interessierte sie sich für die Erforschung des historischen und künstlerischen Erbes Siziliens und Kalabriens und die Arbeiten zeitgenössischer Künstler.
Die Begegnung mit Concetta de Pasquale hat einen nachhaltigen Eindruck bei uns hinterlassen. Ein derartiger Ausstellungsraum würde bei jedem Künstler das Herz höher schlagen lassen.

Immer noch suche ich den Film „Wer erschoss Salvatore Giuliano“ von Francesco Rosi, der mir noch mehr Aufschluss über die sizilianische Mafia geben kann. Ich dachte, nachdem der Film in Deutschland nicht mehr erhältlich ist, dass ich hier eine italienische Fassung leichter würde erstehen können, aber in Palermo mangelt es an Geschäften, die DVD´s vertreiben. Mit Hilfe des Buches „Mafia Leben“ von Federico Varese und anderen Quellen möchte ich während der Touren einen Vortrag über Entstehung, Strukturen, verwandte Gruppierungen und Codici der ehrenwerten Gesellschaft halten. Nach den Morden an den Staatsanwälten Falcone und Borsellino, jenen berühmten Mafiajägern, hat sich die Situation in Palermo erheblich verbessert, nicht zuletzt durch das energische Durchgreifen des Bürgermeisters Leoluca Orlando, der Palermo wieder zu einer weltoffenen und sicheren Kulturmetropole umgestalten will. In Palermo ist die Mafia weitgehend marginalisiert, aber in Orten wie Trapani, Corleone, Gagni oder auch Catania ist sie immer noch ein ernst zu nehmender Faktor als Krebsgeschwür in der sizilianischen Gesellschaft.

Wolfgang Neisser, 24. März 2018