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Canicule

Canicule. Alle sprachen seit mehr als einer Woche über die Canicule. Die Canicule überfällt die Franzosen alljährlich im Sommer und inzwischen wissen fast alle Menschen an den überall zu sehenden und zu spürenden Zeichen des Klimawandels, dass in Europa kein Land verschont wird, wenn nicht alle gemeinsam STOPP sagen und sich wenigstens an die gesteckten Ziele des Pariser Klimaabkommen halten.

Zieht eine Canicule übers Land, steigen die Temperaturen weit über den Durchschnitt eines Monats und dieses Jahr wurden viel zu früh alle Rekorde gebrochen. In 79 Departements galt Alarmstufe Orange, bei uns im Süden wurde mit „Rot“, der höchste Gefährdungsgrad angezeigt.
In Brandenburg kletterte das Thermometer auf 38,6 Grad und ein kleiner Ort im Departement Gard stöhnte gar unter 45,6 Grad. Rekorde, wie es ausposaunt wurde, aber Rekorde, die wir nicht bewundern müssen, im Gegenteil, es sind Vorboten einer katastrophalen Veränderung, die im Jahre 2050 kein Mensch überleben kann, wenn in den verbleibenden Jahren nichts geschieht. Im Fernsehen zeigte einer der eleoquenten Klimaforscher an Diagrammen, dass bei einer weiteren  Erwärmung der Erde im Jahre 2050 mit über 50 Grad in Mitteleuropa zu rechnen sein könnte.

Dabei muss bedacht werden, dass es bei dieser Canicule nicht einen einzigen Ort betraf, sondern dass im Umkreis von weit über 100 km die 40 Grad überschritten wurden. In Arles kamen wir an einem Tag auf 43 Grad und in Avignon stieg die Temperatur unwesentlich höher, während in Carpentras über 44 Grad gemessen wurde. Selbst in Paris oder in den Bergen des Zentralmassivs kannte die Sonne keine Gnade und überließ Mensch und Tier wie die gesamte Natur einem Glutofen, den man nur im Keller (Cave = Weinkeller), in romanischen Kirchen oder in Museen überstehen konnte. Mit Klimaanlagen kann man eine erträgliche Atmosphäre schaffen, aber gesamtklimatisch treibt es die negativen Veränderungen nur weiter an. Hier in Arles dauert die Hitzewelle inzwischen eine Woche und auch wenn die Wetterfrösche Abkühlung versprachen, fuhren wir gestern bei 38 Grad in eine Werkstatt, weil unser Auto mehr unter der glühenden Hitze gelitten hatte als wir selbst. Die Elektronik und ein Regulationssystem für die Abgasfilterung drehten komplett durch. Vorgestern musste ich in der Vormittagshitze einige Kilometer laufen, weil kein Bus fuhr und nach meinem Gefühl hinterließ ich eine Schweißspur, die jedem Indianer ein „Aha?“ abgerungen hätte. Leider wurde die Spur vom zum Schmelzen neigendem Asphalt sogleich absorbiert, sonst könnten die Touristen in Arles ein neues Landart-Kunstwerk auf der Avenue Stalingrad bewundern.

Dabei sind auch in unserer Sprache die „Hundstage“, wie sie in Deutschland genannt werden, fest im Sommerzyklus verankert, auch wenn unsere Sommer, wenn sie diesen Namen verdienen, wesentlich unzuverlässiger und unberechenbarer sind. Die Canicule beschert uns eine Hitze, die jedes normale Temperaturmaß überschreitet und die ansonsten erwünschte sommerliche Wärme gerade für ältere Menschen und Kleinkinder zur Qual werden lassen. Im Begriff Canicule versteckt sich wie im Französischen der Hund oder das Hündchen. Canicule stammt aus der lateinischen Sprache „canicula“ als Deminutiv von „canis“ Hund, was so viel wie Hündchen bedeutet. Canicula ist außerdem der Name eines Sternes, der in der antiken Astronomie benannt wurde und befindet sich in der Konstellation des „Großen Hundes“. Meteorologen verorten die Canicule oder die Hundstage ungefähr zwischen dem 24. Juli und 24. August, aber auch im September oder wie dieses Jahr im Juni kann sich die große Hitzeglocke schon im Juni über Mitteleuropa stülpen. Als die ersten Wettervoraussagen die Hitzewelle ankündigten waren es hier schon um die 35 Grad, aber jede weitere Steigerung macht den Menschen tagsüber zu einer lahmen Ente und nachts zu einem schwitzenden Hautsack. Denn selbst in der Nacht sinkt das Quecksilber nicht soweit, dass man von einer angenehmen Nachtruhe sprechen könnte, denn alles, was die 23 Grad übersteigt, muss als tropisch bezeichnet werden.

Die meteorologische Beweisführung für dieses Wetterphänomen wird auf Jetstreams in großer Höhe zurückgeführt die die allgemeine Wetterlage entscheidend beeinflussen. Ein riesiges Tiefdruckgebiet über dem Atlantik schaufelt sehr heiße Luft aus der Sahara zu uns. Gleichzeitig erstreckt sich ein Hoch von Nordafrika bis hoch in den Norden Skandinaviens. Ich bin kein Meteorologe, aber ich bin fest davon überzeugt, dass der Klimawandel eine entscheidende Rolle spielt, auch wenn die Jahreszeiten und die Zyklen der Natur bislang noch einigermaßen intakt waren, so werden selbst die verbohrtesten Leugner in ihren Verschwörungs- und Pseudowissenschaftstheorien inzwischen ins Zweifeln kommen. Hoffentlich.

Als wir vor vier Wochen in Arles ankamen, freuten wir uns über das sonnige Wetter und die prächtige Vegetation und das südfranzösische Flair. Die ersten beiden Gruppen konnten sich über warme, aber immer noch erträgliche Temperaturen freuen. Die letzte Gruppe erwischte die Canicule und schon am ersten Tag drückte die in der Stadt stehende Hitze manchem aufs Gemüt und ließ die Glieder ermatten. Trotzdem haben wir unser ausgearbeitetes Programm im Sinne unserer akribischen Planung, aber auch mit Rücksicht auf die Gesundheit der Menschen, so durchgeführt, dass es den meisten sicherlich etwas mehr als nur touristische Randnotizen gebracht hat. Man muss improvisieren und flexibel sein, wenn die Hitze den Schweiß aus den Poren treibt. Der Versuch, am Rande einer der schönsten Küstenlandschaften Frankreichs einen großen Bogen von den Römern über die Gegenpäpste, vom Leben van Goghs bis hin zu dem großartigen Kultur- und Ökologieprojekt LUMA im ehemaligen Eisenbahndepot der Stadt zu spannen, ist unserer Ansicht nach relativ gut gelungen. Und auch wenn sich einige künstlerisch ambitionierte Spezialisten über die Projektionen in den Steinbrüchen von Les Baux als Kitsch mokieren, ragt dieses gut inszenierte Spektakel über die flächendeckende Vereinanhmung des Malers van Gogh in Souvenirklimbim, Postkarten, Kunstdevotionalien oder schlechten Bildreproduktionen auf Tellern, Tassen und T-Shirts heraus.
Dass die Canicule so brutal in diese Reise hereingegrätschen konnte, ahnten wir nicht, aber wir wussten sehr wohl, dass die Sonne in der Mitte des Jahres Südfrankreich besonders reich beschenkt.

Der größte Teil des Sommers liegt noch vor uns und ich hoffe und wünsche allen, dass wir trotz der Auswirkungen des Klimawandels eine schöne Zeit von Juli bis Ende September haben werden.

Jetzt gilt das Bonmot von Cezanne erst recht:

Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet…