Wenn Mensch den Entschluss fasst oder dazu animiert wird, eine Reise nach Norden Europas zu wagen, hat er entweder ein Rad ab, leidet an einen Wikingertick oder es gibt zwingende Gründe, die jegliche Skandinavienaversion zur Lappalie macht. Kommt übrigens nicht aus Lappland, wenn falsche Assoziationen auftauchen sollte Wir sind nach Stockholm geflogen, weil wir familiäre Angelegenheiten innerhalb der internen Solidarität sehr ernst nehmen und auch ein wenig neugierig waren, wie es in der Heimat von IKEA, ABBA, VOLVO, H&M und einigen anderen weltbekannten Markenplayern aussehen mag.
Pippi Langstrumpf habe ich nicht gelesen und auch der Karlson vom Dach verfing sich nicht in meinen Lektürewünschen. Dagegen habe ich Kalle Blomquist einmal verfilmt gesehen und weiß, dass die schwedische Dame viel zu sehr auf Kinderbücher eingeschränkt wurde, was ich schade finde. Vor ein paar Jahren erschien Biopic über sie im Kino, aber diesen Film habe ich nicht verpasst, ich wollte ihn ganz einfach nicht sehen. Die Schriftstellerin Astrid Lindgren war schon bekannt, da gab es die eben genannten Markenplayer noch nicht und Schweden war für die meisten Deutschen ein sattgrünes Bauernland mit schönen bunten Holzhäusern und tausenden kleinen Inseln, die sich entlang der Küste scharten. Alle kennen den König Karl-Gustav, der sich die deutsche Hostess Sylvia bei den Olympischen Spielen geangelt und nach Wasaland mitgenommen hat. Das Königspaar lebt und regiert in einem der größten Regierungsschlösser der Welt, das mit 230 Meter Länge viele andere Schlossbauten in den Schatten stellt. Ästhetisch hapert es ein wenig, aber innen soll es sehr geschmackvoll eingerichtet sein. Natürlich wissen die meisten Menschen in Deutschland, wer dessen Urahn Gustav-Adolf war, der im dreißigjährigen Krieg mit einem Heer nach Mitteleuropa zog, um sich in die ewige Keilerei zwischen Katholiken und Protestanten einzumischen und die Innovation Martin Luthers mit Schwert und Hackebeil zu bekämpfen. Bekanntlich ließ er in Lützen, im heutigen Sachsen Anhalt sein Leben auf dem Feld der Ehre. Ob sich das genauso zugetragen hat, weiß ich nicht, mir ist aber bekannt, dass die Todesengel und Schnitter zwischen 1618 und 1648 reichliche Ernte einfuhren. Über seinen Heldentod schrieb Theodor Fontane ein sentimental verklärtes Gedicht, das wir in der Sexta auswendig lernen mussten:
Der Sattel blutig, blutig die Mähn’,
Ganz Schweden hat das Roß gesehn; –
Auf dem Felde von Lützen am selben Tag
Gustav Adolf in seinem Blute lag.
Schwedische Haide, Novembertag,
Der Nebel grau am Boden lag,
Hin über das Steinfeld von Dalarn
Holpert, stolpert ein Räderkarrn.
In Köln-Mülheim biegt rechts von der Frankfurter Straße eine Graf-Adolf-Straße ab, aber damit ist nicht der adlige König aus dem Schloss in Uppsala gemeint, sondern Graf Adolf von Berg und der hatte mehr mit Düsseldorf zu tun als mit Köln oder gar Schweden, vielleicht hat er dort einmal Urlaub gemacht, Gustav-Adolf II dagegen hieß eigentlich Wasa, war aber nicht beim Backen des ersten Brotes gleichen Namens dabei. Wo wir schon einmal beim Namen Gustav sind, erinnert mich das an den Eisernen Gustav, einen Berliner Droschkenkutscher namens Hartmann, der 1928 eine Protest- oder Erinnerungsreise von Berlin nach Paris inszenierte und weit über Deutschlands Grenzen bekannt wurde. Gustav Stresemann, der ehemalige deutsche Reichskanzler, der zusammen mit Aristide Briand 1926 den Friedensnobelpreis verliehen bekam, ist ein weiterer Gustav mit großem Namen. Ein bedeutender Staatsmann fürwahr, der einerseits durch seinen frühen Tod 1929 von der Pest der Nazibarbarei verschont wurde, andrerseits vielleicht Schlimmeres hätte zumindest eindämmen können. Wahrscheinlich hätten ihn die Braunhemden vorher den Graus gemacht, wie es bei dieser Mörderbande a la mode war.
Zurück zu den Schweden und den schwedischen Menschen und den ersten schwedischen Impressionen in der Hauptstadt des Landes. Als das Flugzeug zur Landung ansetzte, waren wir fliegenden Passagiere noch sehr weit von Stockholm entfernt und der Himmel glich einem einzigen feuchten Wolkenberg, der immer dichter wurde. Durchbrach der Pilot eine der Wolkenteppiche, die sich übereinander stapelten, sah ich schon die nächste und dann wieder eine bis wir schon fast am Boden waren, die Räder ausgeklappt wurden und die A320 mit einem kleinen Hopser in Arlanda festen Boden unter den Rumpf bekam. Das Procedere Landen und Suchen und Laufen und überall mit den Augen hin- und Herschweifen kennen die meisten, die nach einer Reisezeit von etwas mehr als zwei Stunden in einem völlig unbekannten Ort ankommen, in einem Land, das sie nicht kennen und einer Sprache, die sehr seltsam tönt und sich nur schwer in die Ohrmuschel windet. Der Flughafen liegt nicht nur 35 km nördlich von der Innenstadt, sondern vom Flugzeug bis zur Expressbahn Arlanda braucht der Mensch als Tourist auch noch einmal sechstausend Schritte, um dann mit 170 Sachen Richtung Central Station zu düsen. Dort geht es wieder los mit der Sucherei. Ticket kaufen, laufen, T-19 suchen, den Bahnsteig finden und weiter nach Gulmarsplan weiterfahren. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der reisende Mensch schon ca. 800 Euro ausgegeben, wenn er die Taxifahrt zum Flughafen Köln, den Flug als solches, Ticketpreise, diverse Leichtgetränke und die unerlässlichen Reiseführer zusammenzählt. es ist immer für den guten Zweck und außerdem bietet mir jede neue Stadt soviel visuelles Futter, dass ich hinterher mindestens drei große Bilder anfertigen kann. Der Familie in Kvarnholmen geht es gut und zur richtigen Zeit brach die Wolkendecke auf und es zeigte sich ein strahlend blauer Himmel.
Es war aber noch nicht vorbei, die letzte Etappe nach Bjulvägen 16 musste mit dem 144er Bus absolviert werden und nach einigem Hin- und Her erwischten wir den Bus vor der Station Gulmarsplan in den Süden der Stadt. Ohne Mühe erreichten wir die gebuchte Unterkunft und als ich vor der Tür stand, drohte uns ein abruptes vorläufiges Ende.
Der versprochene Wohnungsschlüssel oder vielmehr der Schlüssel zu einem weiteren Schlüssel lag nicht, wie versprochen, unter der Abtrittmatte und damit gab es zunächst einen Logistikstau. Da beginnt das Gehirn zu rattern und die Synapsen sind kurz vor dem Durchglühen. Da es weit und breit kein WLAN gab, entschied ich mich für die technikaffine Methode, auch Kuppelei genannt. Ich kramte ich das macbook aus dem Koffer, koppelte das Smartphone an die WLAN-Schnittstelle und konnte so zu den wichtigen Daten durchdringen, die ich brauchte, die aber tief im Festplattenspeicher des schicken Computers lagen. Eine kleine Mail genügte und ein junger Mann erschien vor der Haustür. Ich saß auf den Treppenstufen, fummelt alles zurecht, um die Verbindung zur Wohnungsvermittlerin aufzubauen. Der junge Mann, der ein direkter Nachbar war, ist sofort angerufen worden und brachte uns den Schlüssel und siehe da, wir eroberten das gelobte Land. Hurra, Heija, wie sind drin. Die Wohnung ist sehr schön und in dieser Hinsicht hat sich mein ununterbrochenes Taxieren von Apartments, Häusern und anderen Wohngelegenheiten deutlich gelohnt. Wie immer war es etwas schwierig, das Internet in Schwung zu bringen, weil das ewige Versteckspiel der Passwörter inzwischen nur noch albern ist.
Wir sind in Schweden und die Schweden scheinen viel gelassener zu sein als wir vom Wachstum getriebenen Deutschen. Dazu muss man wissen, dass in Schweden vieles anders läuft, vor allem in den den wichtigen Sektoren Verkehr, Bürokratie und Kommunikation, obwohl das Fernsehprogramm ein lediglich Kessel Buntes salzlos und ohne Geschmack ist. Aber Netflix, HBO und Rakuten und vieles, was ich bislang noch nicht einmal vom Namen her kannte. Aber nach einem Zappmarathon beschloss ich, TV wieder Fernsehen oder Glotze zu nennen. Mit irgendeinen Trick fand ich die Spur zu DAZN und kann jetzt das Fußballspiel Dortmund gegen Heidenheim von der Schwäbischen Alb sehen. Es ist aber besser, den Ton abzuschalten. Dazu fällt mir der Düsseldorfer Hartknochen Erich Juskowiak ein, der 1958 bei der WM im Spiel gegen Schweden in Schweden nicht ganz koscher vom Platz flog, das dem deutschen Team im Halbfinale die Niederlage brachte, die sie wieder in die immer noch zerschlagene Heimat führte. Der ungarische Schiedsrichter Istvan Zsolt soll ein revanchistischer Hund gewesen sein, der die armen Deutschen, den amtierenden Weltmeister, immer wieder benachteiligte. Man munkelt, dass die ungarische Politik die Finger im Spiel hatte, weil 1954 Herbergers Elf die Magyaren im Endspiel besiegte. Es war eben der kalte Krieg und im Warschauer Pakt wurde alles getan, um den Klassenfeind im Westen schlecht aussehen zu lassen. Deutschland war noch nicht Wer, sondern eher Was, aber mit Strauß und Adenauer und auch Globke auf dem Weg dahin, wo die Sonne untergehen soll. Fußballkenner erinnern sich an das Tor von Zlatan Ibrahimovic, das er im eingesprungenen Fallrückzieher aus dreißig Meter Entfernung ins gegnerische Tor knallte. Das war Fußballartistik in Vollendung. Zlatan war gebürtig vom Balkan wurde aber Schwede. Warum kam er nicht zu Borussia Dortmund, wo doch das ganze Ruhrgebiet in der Vergangenheit mit Jugo-Restaurants übersät war. Tercik, der aktuelle Trainer wird wahrscheinlich nicht so lange die Spieler instruieren, ihren absurden Passfußball zu spielen, wenn es so weitergeht wie gestern gegen Heidenheim. Watzke, der CDU Grande des Ruhrgebiets schaute wie Unternehmer kurz nach der Insolvenz und das soll etwas heißen. Aber ich habe Sky rechtzeitig vor Mitternacht am 31.08.23 gekündigt, weil ich mir die Samstagnachmittage nicht mehr durch unterirdischen Fußball kaputt machen will. Da habe ich weitaus Besseres zu tun.
Soweit zum ersten Tag und ich freue mich schon auf die Kinderchen aus zwei unter mir geborenen Generationen und vor allem auf die Enkel, in deren Hirn wir beide schon lange Oma und Opa sind. Sei’s drum, passiert. Grandpa eben.
Übrigens. Männer mit langen Haaren, die sich hinten einen Dutt am Hinterkopf stecken, stehen nicht zu sich und machen sich zu Hybridwesen. In der Öffentlichkeit sauber und gut gestrehlt, zuhause allerdings der wilde Rocker oder im Hippiedress. Zeitzeichen der Postmoderne.
Wolfgang Neisser
- September 2023, 22:40 in Stockholm