Das Programm unseres Reiseveranstalters in Köln sah vor, den Reisenden die National Gallery am Trafalgar Square zu zeigen, um einen Gesamteindruck der großen nationalen Sammlung des britischen Königreichs zu zeigen. Neben dem British Museum, der Tate und dem Victoria & Albert Museum vereinigen diese vier Großmuseen den kulturellen Schatz des Britischen Empire in einer nationalen Identität.
Die National Gallery ist eines der größten Museumsbauten in London und wie der Name schon sagt, ein nationales Heiligtum britischer Kultur. Die Idee einer repräsentativen Kunstsammlung, die als nationale Kunstschau die Größe und das kulturelle Gewicht des Empire zeigen sollte, entstand 1824, nachdem die britische Regierung die Kunstsammlung des russischen Bankiers Angerstein aufgekauft hatte. Zunächst beließen die königlichen Kuratoren die Bildersammlung 14 Jahre lang im Haus des Bankiers, bis 1837 der Neubau am Trafalgar Square begonnen wurde und die Sammlung eine erste originäre Heimstätte fand. Im Laufe der Zeit häuften sich Schenkungen und Ankäufe, so dass dieses neu erbaute Gebäude schon zu klein war und es als notwendig erachtet wurde, dass die ebenfalls dort untergebrachte Royal Academy of Arts 1868 in anderes großes Bauwerk, das Burlington House, in der unmittelbaren Nähe untergebracht wurde. Um alle Kunstwerke unterzubringen wurde zusätzlich in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Ostflügel angebaut. Heute ist die National Gallery mit mehr als 2300 Exponaten eine der größten und respektabelsten Gemäldegalerien der Welt.
Die Sammlung umfasst Gemälde, Stiche oder Drucke, die in Europa zwischen dem 13. und dem 19. Jahrhundert entstanden sind. Ob der Erwerb oder die Schenkungen immer mit rechten Dingen abliefen, kann angesichts der weltpolitischen Macht des Empires über viele kleine und größere Staaten und Wirtschaftsgiganten oder Handelsmonopolisten nicht bewiesen werden. Unsaubere Geschichten wie die mit den Benin-Bronzen scheinen die meisten Briten nicht zu interessieren oder gar zu stören, schließlich haben sie einen Großteil der im 18. Jahrhundert von britischen Kolonisten geklauten Skulpturen später an das Deutsche Reich verkauft. Die Gemälde der Nationalgalerie sind eher unverdächtig, aber wie gelangen alte Altarbilder aus Deutschland oder italienische Renaissancegemälde in den Besitz eifriger Sammler, die wiederum aus welchen Gründen auch immer, diese Exponate an weitere Sammler oder nationale Sammlungen verkaufen.
Die national Gallery ist ein riesengroßes Lagerhaus bedeutender Kunst aus mindestens 8 Jahrhunderten und wie ordentliche Museumsdirektoren so sind, haben gefügige Mitarbeiter die Gemälde hintereiander an die Wände eines sehr langen Ganges aufgehängt, damit die Briten auch sehen können, was diese hochgestellten Leute für ihr Volk so alles gesammelt haben. In Köln würde man auch sagen „Huh Wäng, lang Jäng“, wobei die Kölner im speziellen den Knast meinen. Wenn man es ironisch genau nimmt, sind Museen auch Gefängnisse im offenen Vollzug für Kunst. Der Mensch sieht viele außerordentlich meisterhaft gepinselte Gemälde aller von der Kunstwissenschaft als bedeutend eingestuften Künstler*_innen, die in europäischen Landen tätig waren. (Frauen haben leider im Malerhandwerk vergangener Zeiten keine Bedeutung und sind Mangelware) Niederländische oder flämische Meister, die oft Szenen aus der Alltäglichkeit festhielten wie Jan van Eyck, Jan Vermeer, Frans Hals, Pieter Breughel, Peter Paul Rubens, Rembrandt oder für Mensch besonders wichtig Hendrik Averkamp, weil der immer mit Pieter Breughel verwechselt wird, aber ebenso gut ist, italienische Meister mit wohlklingenden Namen wie Bellini, Michelangelo, Leonardo da Vinci, Botticelli, Tizian, Raffael oder Canaletto, die bekannesten Spanier Velasquez, el Greco, Goya, natürlich die britschen Helden der Leinwand Turner, Constable, Gainsborough, Anthony van Dyck, Leighton, bei den Deutschen konnte ich unmittelbar neben dem Eingang nur Hans Holbein den Jüngeren entdecken und Lucas Cranach fand ich auch irgendwo als Protagonist seiner Zeit. Da ich es aber aus Zeit- und Willensgründen nicht bis ins 19. Jahrhundert schaffte, müssen zur Ehre der deutschen Nation Caspar David Friedrich und Lovis Corinth genannt werden. Den Dürer fand ich nicht, vielleicht hatte er sich irgendwo versteckt, aber wer genau wissen will, welche Gemälde in der National Gallery hängen, klappt den Laptop oder das macbook auf und gibt die URL https://www.nationalgallery.org.uk/paintings/search-the-collection ein. Da sind alle Gemälde als Icons sichtbar.
Während ich in der Coffee-Bar im Kellergeschoss darauf wartete, dass Eva ihren Rundgangmarathon beendet hatte, verpasste ich, dass gleich nebenan die Sonderausstellung Franz von Assisi aufgebaut war. Ich war von Blindheit geschlagen, denn unmittelbar hinter mir stand in großen Lettern der Name des Mannes, der mit allen möglichen Lebewesen gesprochen haben soll, geschrieben: Saint Francis of Assisi. Gleichzeitig war es die Eingangstür der Ausstellung. Als wir die Gallery verlassen hatten, waren wir zunächst ratlos, was man den Kulturtouristen würde zeigen können und abends sagte Eva, dass sie sich für den Mann aus Assisi entschieden hätte, weil es eine umfangreiche Ausstellung war, die ihrer Ansicht nach, sehr differenziert kuratiert sei und mit dem Blick auf unsere aktuellen Probleme ganz neue Zusammenhänge zwischen der Zeit des Franziskus und der Jetztzeit verdeutlichen würde. Dafür bin ich einige Tage später, nämlich am Montag in diese Ausstellung gegangen, um die Exponate ausnahmslos zu fotografieren. Auch ich fand, dass es ein gelungener Blick rückwärts wie vorwärts und seitwärts war. Wenn nicht sogar mitten in die Ewigkeit.
Wenn von einer Biennale die Rede ist, stellt man sich immer zunächst Venedig vor und gleich darauf die Manifesta, die alle zwei Jahre in unterschiedlichen Städten Europas gastiert. In London gibt es seit einigen Jahren eine internationale Design-Biennale, die unmittelbar am Themseufer im Somerset-House präsentiert wird und wiederum ein Programmpunkt der Kulturreise nach London war. Das Somerset-House ist ein mächtiger Steinkasten, der ehemals im klassizistischen Stil erbaut und später mit einem Ostflügel erweitert wurde, in dem heute das King´s College residiert. Dieses College wird als die drittälteste Universität in Großbritannien bezeichnet, die zudem zentral in der City of London gelegen ist. Aber die Biennale füllte die drei Flügel des Somerset House und bestand aus vierzig Ausstellern, was mir von Anfang an verdächtig vorkam, wo ich doch aus Erfahrung weiß, dass Biennalen, wie die in Venedig, nahezu unüberschaubar groß sind. Allein im Arsenale Venedigs hört der Besucher entweder nach zweihundert Metern auf zu zählen oder lässt es gleich, weil es der Suche nach Wichtigkeit nicht dienlich ist.
Hier aber fand die Biennale in vielen kleinen Räumen statt und war von Anfang an sehr überschaubar. So überschaubar, dass der nach Überwältigung Suchende sehr schnell den Rundgang beenden konnte. Aber das ist nicht Sinn eines Besuches in einer Design- Biennale, weil sich der interessierte Mensch schließlich mit jeder einzelnen Präsentation auseinandersetzen will. Als Skeptiker und erfahrener Designkenner zweifele ich zunächst immer daran, ganz neue Erkenntnisse zu gewinnen, außerordentlich Bewegendes in der betrachtung analysieren zu können oder aktuell Sinnvolles bezüglich der Herausforderungen innerhalb gesellschaftlicher Transformationsformen zu finden. Als wir ankamen hielt irgendein Minister oder Kulturstaatssekretär draußen im Innenhof bei herrlichem Wetter die Eröffnungsrede und Fotografen knubbelten sich in front of him und es schien, dass nur wenige Fach- oder Sachkundige darunter zu finden seien, aber da kann ich mich auch täuschen, denn eine Kamera macht noch lange keinen Fotografen. Wir betraten das Gebäude und wanderten von einem Ausstellungszimmer zum nächsten und wenn ich behaupten würde, dass ich mich lange bei einer Präsentation aufgehalten hätte, würde ich lügen. bevor wir aber das Gebäude betraten, muss erwähnt werden, dass auf dem sehr weitläufigen Innenhof zwei Installationen zu sehen waren, die mir auf den ersten Blick nicht signalisieren konnten, dass es sich um Design handelte. Aber ich kann mich täuschen. Einmal hingen an ca. zwei bis drei Meter hohen Holzgestellen gewebte Stoffbahnen in unifarbenen Violett- oder Lilatönen und bewegten sich im Wind. Diese Installation wurde von der Ukraine und einer ukrainischen Künstlerin veranwortet und außer, dass die Stoffe biologisch rein und mit ökologisch angerührten Farben bestand, sah ich es eher als schöne Installation als Designobjekt.
Die andere Installation im Innenhof, die die Türkei repräsentierte, ähnelte einem sechseckigen, nach allen Seiten offenen Gewächshaus, das als Stahltore zu identifizieren waren. In den nach innen immer kleiner werdenden Bögen baumelten Stahlstangen herab, die bei jedem Windstoß aneinanderschlugen und unterschiedliche Töne erzeugten. Ein Windspiel wurde mir erklärt, aber wozu habe ich nicht herausgefunden. Aber es gab eine offizielle Erklärung: „Der Pavillon der Architektin Melek Zeynep Bulut gilt als theatralische Ausstellung über den Sinn von Toren, die wiederum die Durchlässigkeit sozialer Hierarchien symbolisieren sollen. Aha, denke ich, das wäre mir in Bezug auf Design nicht eingefallen. Von Raum zu Raum überkam mich die Auffassung, dass der Design-Gedanke als wichtiges transformatisches Gewerk zur Gestaltung der Zukunft unter diffusen klimatischen Bedingungen irgendwie zu kurz gekommen war, auch wenn es hin und wieder wirklich gute Ideen wie die Wiederverwertung ausgedienter Fenster für Zerstörungen, die durch Erdbeben oder Kriege ausgelöst werden oder Biobausteine aus roher Erde, die ebenfalls innerhalb der vielen Probleme von Migration und Armut einen wirklich prositiven Sinn ergeben wie auch modulare Papiersysteme zur Errichtung von Notunterkünften für Flüchtlinge und sich daraus zu entwickelnde Fertighäuser.
Die Patchwork-Fensteridee nahm mein Künstlerfreund Wilfried schon 1975 für sein Atelier vorweg und Bausteine aus allen möglichen natürlichen Materialien werden bei der Renovierung mittelalterlicher Häuser beispielsweise im Elsass schon lange verwendet. Keineswegs will ich die Design-Biennale diskreditieren, aber am Ende des Tages, wie es im Politikersprech immer so klischiert ausgedrückt wird, war alles schon einmal da oder ist wiederentdeckt worden und vieles davon habe ich auf der Architektur- Biennale in Venedig bewundern können. Nehmt es mir nicht für übel, aber ich kann keine Lobeshymnen über diese Biennale singen. Aber. Vorstellbar wäre für mich, dass einige der als Designbobjekte bezeichneten Exponate irgendwo auf einer großen Kunstschau oder Kunstmesse ausgestellt worden wären oder andere in Galerien als zeitgenössische Kunst mit einem gewissen gesellschaftlich wertvollen Touch die Wände oder die Räume schmücken könnten. Auch Designshops, die mit Verve in die Zukunft schauen, könnten einige Exponate ausstellen, denn ich habe über den Sinn dieser Biennale keine Kritik geübt, sondern lediglich über die formalen Ergebnisse in ihrer ästhetischen Beschaffenheit.
Wer sich eingehender informieren will, kann sich auf instagram, Linkedin, facebook kundig machen oder er schaut auf diese sehr guten Informationen bei: https://www.dezeen.com/2023/06/01/london-design-biennale-2023-pavilions/
Die nächste Architektur- Biennale in Venedig werde ich nicht verpassen und sicherlich wird bei der nächsten Manifesta in Barcelona ein Designfeuerwerk entzündet.
Zum Schluss ein offizielles Bulletin.
„Auch 2023 will die London Design Biennale zeigen, wie Design die Welt, in der wir leben, verbessern kann. Für die künstlerische Leitung zeichnet in diesem Jahr das Nieuwe Instituut, das niederländische Nationalmuseum und Institut für Architektur, Design und digitale Kultur unter der Leitung von Aric Chen, verantwortlich. „,The Global Game: Remapping Collaborations’, so Chen, „zielt auf die Schaffung einer alternativen geopolitischen Landschaft, die nicht von Wettbewerb oder Konflikt, sondern von Zusammenarbeit geprägt ist.“